Die Hebamme von Venedig
einzige Hoffnung bestand darin, sich dem Conte anzuvertrauen und ihm von den Machenschaften seines Bruders zu berichten. Aber warum sollte er ihr eher glauben als Jacopo? Sie war ein Niemand, eine einfache Jüdin aus dem Ghetto.
Isaak war verloren.
Kapitel 10
A ls die Marangona auf der Piazza San Marco sieben Mal schlug, zog Hannah an der Glocke des Eingangs zum Palazzo der Familie di Padovani. Den Mantel des Conte hielt sie im Arm, die Tasche hatte sie sich über die Schulter gehängt. Als es drinnen läutete, schallte aus einem der oberen Fenster ein Wiedererkennungsschrei, und Lucia beugte sich heraus, ein Kätzchen im Arm, winkte und rief. Der Anblick erinnerte Hannah an die Geschichte, die sie der Contessa während der Wehen erzählt hatte, um ihr zu erläutern, wie ungünstig ihr Baby in ihr festsaß. Die Contessa stand mitten im Fenster, nicht zu einer Seite gelehnt, wie Hannah ihr die Lage des Babys veranschaulicht hatte – und Augenblicke später schon war sie an der Tür, lächelte und streckte die Arme aus. Sie trug ein grünes Seidenkleid, das rote Haar fiel ihr über die Schultern.
»Ich bin so glücklich, sie zu sehen, Hannah, und dankbar, dass sie sich trotz ihrer Reisevorbereitungen die Zeit genommen hat, zu kommen und mit uns zu essen.«
Hannah verspürte eine Welle der Zuneigung für diese Frau, die sie vor dem Engel des Todes gerettet hatte, auch wenn sie der Gedanke erschaudern ließ, wie nahe sie daran gewesen war, sie umzubringen.
»Herein, nur herein«, sagte die Contessa. »Ich denke jeden Tag an sie und frage mich, wie es ihr geht. Man sagt, die Pest breitet sich in der Stadt aus. Ich bin so froh, sie so gesund zu sehen. Ich will ihr von ganzem Herzen für alles danken, was sie für mich und Matteo getan hat. Ohne sie und ihre begabten Hände wären wir beide tot. Der Conte will nicht aufhören, ihr Lob zu singen. Ich weiß, dass auch er ihr noch einmal danken möchte.«
»Ich freue mich ebenso, Euch zu sehen.« Aber Hannah konnte der Contessa nicht mit ehrlichem Gewissen sagen, dass sie gut aussehe. Lucia war blass und wirkte zerbrechlich. Dunkle Ringe lagen unter ihren Augen, und ihre Hände zitterten.
Die Contessa sah über die Schulter nach hinten, als hoffte sie, ihren Mann dort zu erblicken. »Ach, Paolo musste auf unser Gut in Maser, um nach den Feigen zu sehen. Er spielt gerne den Landmann, es sei denn«, sie lachte, »die Grashüpfer schwärmen. Dann überlässt er die Katastrophe dem Verwalter. Er kommt heute Abend zurück, weil wir morgen bei Tagesanbruch nach Ferrara fahren. Mein Vater ist krank, und der Doktor fürchtet, dass er sterben wird. Ich möchte bei ihm sein. Er hat sonst niemanden außer mir.«
»Das tut mir so leid. Möge Gott Eurem Vater zu Hilfe eilen«, sagte Hannah.
Die Contessa dankte ihr für ihre Worte und erklärte: »Er ist nicht mehr jung, bereits über sechzig. Er hatte ein langes Leben.«
Lucia trug einem der Diener auf, ihnen zu sagen, wenn das Essen fertig sei, und dann stiegen sie die breite Treppe in den Piano nobile hinauf, das Hauptstockwerk, vorbei an dem Fresko der Nymphen in Grün und Gold. Lucia hakte sich bei Hannah unter, als wären sie Freundinnen und nicht zwei Frauen, die durch Klasse und Religion weit voneinander getrennt waren.
Sie betraten Lucias Zimmer. Es schien nicht möglich, dass dies dasselbe Zimmer war, das vor Wochen noch mit Blutgeruch und den Schreien einer Geburt erfüllt gewesen war. Hannah hörte das helle Quengeln eines gesunden Kindes. Lucias Bett war mit Brokat bedeckt, und in der Ecke stand Matteos Bettchen, umgeben von vier Säulen, die ein großartiges Padiglione trugen, ein Zeltdach aus gestreifter Seide. In der Nacht von Matteos Geburt hatte Hannah die Pracht dieses Raumes, soweit sie das alles überhaupt wahrgenommen hatte, eher eingeschüchtert. Jetzt, mit entfachten Kronleuchtern und dem hellen Licht, das zwischen Spiegeln und Terrazzoboden hin- und herglitzerte, fühlte es sich hier drinnen warm, luxuriös und einladend an.
»Matteo ist ein Schatz, ein perfekter kleiner Kerl.« Lucia küsste das schwarzweiße Kätzchen, das sie immer noch auf dem Arm trug, und schob Hannah zum Kinderbett. »Kein anderes Baby auf dieser Welt ist auch nur halb so süß.«
Gut, der Salzkreis zum Schutz gegen Lilith umschloss noch immer Matteos Bett. Hannah trat näher, stieg über das Salz und beugte sich vor, um Matteo auf den Arm zu nehmen. Er sah nicht mehr faltig rot wie ein Neugeborenes aus. Sein Gesicht war
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