Die Hebamme von Venedig
steckte sich ein Stück Artischocke in den Mund, das knusprig war und scharf schmeckte. Wäre ihr Magen nicht so verkrampft gewesen, hätte sie den Knoblauchgeschmack genossen.
»Lucia«, sagte Jacopo, »vielleicht solltest du, unserer geschätzten Hebamme zum Dank, lieber der Scuola dei Tedeschi im Ghetto Nuovo einen Silberkelch schenken?« Er bedeutete einem der livrierten Diener, ihm eine Portion Seppie al nero zu reichen.
Dass ein Christ einer Synagoge ein religiöses Objekt stiftete, war, wie er sehr gut wusste, undenkbar. Hannah sah zu, wie Jacopo seinen Tintenfisch aß, der ihm Zunge und Zähne schwärzte, und wandte den Blick ab.
Lucia wurde von einem Hustenanfall geschüttelt und hielt sich schnell ein Seidentuch vor den Mund. Der Conte half ihr auf, und als sie sich nach Luft ringend und immer noch hustend vorbeugte, klopfte er ihr zwischen den dünnen Schulterblättern auf den Rücken. Einer der Diener nahm ihr diskret das blutige Tuch ab und gab ihr ein frisches, dann führte der Conte seine Frau zurück zu ihrem Stuhl.
Er beugte sich über sie und bot ihr ein kleines Stück Fleisch von seinem Teller an. Lucia und der Conte schienen den gleichen gemeinsamen Schatz zu teilen wie Hannah und Isaak – Glück und Zufriedenheit in der Gesellschaft des anderen. Aber Hannah erinnerte sich auch an das Gespräch mit ihm in jener Nacht auf dem Weg zum Palazzo, als er ihr sagte, falls nötig, solle sie das Leben der Contessa opfern. Wenn sie dem Conte sagte, dass sein Bruder ihr das Geld abnehmen wollte, konnte sie sich dann auf seine Hilfe verlassen?
Als Isaak in die Levante aufgebrochen war, hatte sie gespürt, dass er nach wie vor über sie wachte, genau wie sie im Geiste bei ihm war und über ihn wachte. Immer noch konnte sie sein kantiges Gesicht mit den dunklen, intelligent leuchtenden Augen vor sich aufscheinen und sich von ihm trösten lassen, und so führte sie in ihren Gedanken oft Gespräche mit ihm, fragte ihn nach seiner Meinung und folgte seinem Rat. Ihre Sehnsucht verband ihn mit ihr, aber heute Abend, wo sie ihn am meisten brauchte, im Kreis dieser feinen, adligen Familie und ihrer Dienerschaft, vermochte sie ihn sich nicht vor Augen zu rufen. Da blieb er im Dunkel verborgen.
Hannah nahm ihr Messer und schnitt sich eine Scheibe Melone vom Bucintoro. Ein junger Diener wollte ihr Weinglas auffüllen, aber sie schüttelte den Kopf, worauf er die Karaffe Jacopo und Niccolò anbot.
Hannah sah den Conte an und sagte mit gedämpfter Stimme: »Da gibt es etwas, das ich gerne persönlich mit Euch besprechen würde.«
»Spreche sie nur. Wir sind eine große Familie.« Der Conte machte eine alles umfassende Geste, und Jacopo und Niccolò sahen ihn an.
»Ich würde lieber mit Euch allein reden.«
Der Conte schüttelte den Kopf und aß ein Stück Artischocke. Hannah blieb keine Wahl. Sie würde keine Möglichkeit bekommen, den Conte vertraulich zu sprechen.
Niccolò begann eine Jagdgeschichte zu erzählen, anschließend berichtete der Conte von der letzten Lieferung Muskat, die sie bekommen hatten, und als er damit fertig war und eine kleine Pause einlegte, räusperte sich Hannah und sagte lauter, als sie eigentlich wollte: »Ich habe etwas für mich Wertvolles verloren, das niemandem sonst etwas nützt. Ich glaube, ich habe es hier im Haus gelassen, in der Nacht, als ich der Contessa geholfen habe und Matteo geboren wurde.«
Es wurde still im Raum. Alle sahen sie an. So still wurde es, dass man Jacopos Magen gurgeln hören konnte.
Endlich brach der Conte das Schweigen: »Wovon redet sie da?«
Die Worte kamen nur so aus ihr herausgesprudelt: »Von meinen Geburtslöffeln. Sie sind mir von großer Hilfe, wenn ich mich um Babys und ihre Mütter kümmere.« Sie verspürte den Drang, aufzustehen und zur Tür zu laufen, um fliehen zu können, falls sich Jacopo auf sie stürzen wollte, zwang sich jedoch dazu, ruhig sitzen zu bleiben. Die Gesichter um sie herum sahen sie verständnislos an. »Sie sehen etwa so aus.« Sie nahm die beiden Silberlöffel aus einer Schüssel Risotto und legte sie über Kreuz auf den Tisch. »Mit einem kleinen Scharnier, das sie zusammenhält.« Sie wurde rot, als sie Sinn und Zweck dieses so intimen Instruments vor allen Anwesenden in ihren Grundzügen erläutern musste, und Jacopo vergrößerte ihr Unwohlsein noch, indem er Unverständnis vorgab und sie dazu zwang, die Funktionsweise genauer zu erklären.
Der Conte spießte ein Stück Fleisch von der Platte vor sich auf. »Ein
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