Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hebamme von Venedig

Die Hebamme von Venedig

Titel: Die Hebamme von Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberta Rich
Vom Netzwerk:
gewinnen können, würde er seine Freiheit bekommen. Somit hing alles von seinen Überredungskünsten und seinem Einfallsreichtum ab.
    Freitags, am Markttag, und auch montags und donnerstags setzte sich Isaak nun auf seinem abgemagerten Hintern auf den zentralen Platz der Stadt, und wie er sich auch auf dem Boden niederließ, es schmerzte. Er schrieb Briefe und entwarf Verträge für die ehrbaren und in Bezug auf das geschriebene Wort größtenteils unbefleckten Bürger Vallettas. Die meisten konnten nicht einmal den eigenen Namen erkennen, wenn man ihn auf die schmutzige Seitenwand eines Wagens schrieb. Aber was für erstaunliche Geschäfte sie machten! Wobei das Schwein, so fiel Isaak auf, in der christlichen Vorstellungswelt eine überaus wichtige Rolle spielte. Letzte Woche hatte einer seiner Kunden, ein Bauer aus Gozo, Isaak aufgetragen, einen Brief an seine Frau zu schreiben, in dem er sie aufforderte, solange er nicht zu Hause sei, seine Lieblingssau regelmäßig mit einer Reisigbürste abzureiben. Darüber hinaus gab es für Isaak immer wieder Verträge zum Kauf und Verkauf von Schweinen aufzusetzen, und er hatte auch schon Rezepte für Presssack kopiert, für geröstetes Spanferkel und einen Eintopf mit Schweineschnauze und Steckrüben, der »Trumpo« genannt wurde. Allein der Gedanke daran trieb ihm die Galle in den Mund.
    Geschäftsabsprachen, die bis dahin von den Beteiligten mit einem Handschlag und einer Flasche Malmsey-Wein besiegelt worden waren, wurden jetzt in Isaaks ordentlicher Schrift niedergelegt, die so winzig war, dass selbst Isaak sie nach dem Trocknen der Tinte kaum mehr lesen konnte. Auch sonst konnte es keiner. Was seine Kunden nicht davon abhielt, feierlich zu nicken, wenn sie Isaaks Pergamente in der Hand hielten, um zu beteuern, dass sie nie eine feinere Schrift gesehen hätten. Und wenn er nicht auf dem Platz saß und schrieb, verbrachte Isaak die Zeit damit, Stoffe für Joseph auszumessen und Segel zu nähen.
    So hockte er also drei Tage der Woche dort unter dem einzigen Olivenbaum, ein Brett auf den Knien, und hatte mit derben Kerlen zu tun, die nach Kuhdung rochen. Einige waren großzügig und dankten ihm, indem sie ihm Kartoffeln, Möhren und sogar Feigen schenkten. Ein Mann, dem Isaak einen Heiratsvertrag aufgesetzt hatte, brachte ihm gar eine zwar abgetragene, aber nicht allzu schlechte Hose.
    Isaak stellte seinen Kunden seine Arbeit oft vor, was er bald zu einer wohlabgestimmten kleinen Rede verfeinerte. »Dieses Pergament ist nicht so einfach zu bekommen«, sagte er. »Die Ritter dieser Stadt – mögen Geschwüre ihre Hinterteile befallen – verweigern mir ihr Papier, so dass ich aus eigener Kraft ein Schaffell zu Pergament verarbeitet habe. Für die Wortreichen habe ich ein Großformat, ein Quartformat für die mäßig Gesprächigen und ein Oktavformat, das Achtel eines ganzen Blattes, für die Knappen, die sich kurz und bündig äußern. Für die Sprachlosen habe ich Reste, die ich aus Stücken der Hinterbeine herstelle.« Wobei er mit verschieden großen Pergamentstücken vor den Nasen seiner Kunden herumwedelte. Und manchmal fügte Isaak noch hinzu: »Lasst meine blutenden Hände Anlass für Euch sein, Euch kurz zu fassen.«
    Um zwölf läuteten die Glocken. Das war die abgemachte Stunde. Gleich würde Joseph vor ihm stehen und den Brief abholen, der Amors Pfeil direkt in Gertrudis’ Herz lenken sollte. Wie viel einfacher wäre es, Liebestränke zu fabrizieren, dachte Isaak, wie sie die alten Weiber auf dem Markt feilboten. Warum hatte er sich solche Mühe gegeben, nein, sich mit der Komposition seiner Liebesbotschaft derartig gequält , wo er doch weit leichter eine Mischung aus Fledermauskot, Krötenwarzen und Fenchel hätte anrühren können, um gerade ebenso viel Aussicht auf Erfolg zu haben?
    Isaak hatte Gertrudis einige Male über den Markt eilen sehen, Skizzenpapier unter dem Arm und die hungrigen Blicke jedes einzelnen Mannes auf sich. Seine Hoffnung zerrann jedes Mal aufs Neue, wenn er ihre anmutige Gestalt an den vor der Taverne herumlungernden Müßiggängern vorbeigehen sah. Schon mehrfach hatte sie auf dem Weg zum Laden des Apothekers, der ihre Farbpigmente mischte und sie mit Leinöl versorgte, zu ihm herübergesehen und ihm zugelächelt.
    Oh, Joseph, dachte Isaak, du fliegst zu nahe an der Sonne, wirst auf die Erde herunterstürzen und mich mit dir nehmen. Du bist ein Mann, der sich nicht das wünscht, was er erreichen kann, sondern sich nach dem

Weitere Kostenlose Bücher