Die Hebamme von Venedig
Unerreichbaren sehnt. Die Insel ist voller stämmiger Bauernmädchen, die dich im Winter wärmen und dir im Sommer Schatten spenden würden.
Isaak erinnerte sich noch gut an diese Sehnsucht nach Liebe, diesen Hunger, der nur von einer Frau befriedigt werden konnte. Hier auf Malta hatte er jedoch begriffen, dass sein Bauch das beharrlichere Organ war als jenes, das er zwischen den Beinen trug.
Seine Träume ließen keinen Zweifel daran. Seit er vor Monaten gefangen genommen worden war, träumte er immer wieder, dass Hannah vor ihm stünde, in ein weißes Hemd gekleidet, mit kleinen Erhebungen, wo sich die Brustwarzen durch den dünnen Stoff drückten, umkränzt vom dunklen Haar, das seiner geliebten Frau um die Schultern floss. Sie flehte ihn an, sie zu lieben, und er umarmte sie. Wie Ranken wuchsen ihre Arme um ihn und fesselten ihm die Gliedmaßen an den Körper, und als er an ihren Brüsten saugte, wurden sie zu saftigen, vollen Trauben, der Bauch, über den er mit der Hand strich, eine reife Melone. Als er sie küsste, wurden ihre Lippen zu Pfirsichen, und als er in sie eindrang, war es, als teilte er eine Feige entzwei. Tagsüber war es kaum anders: Da ließ ihn der Gedanke an Hannahs gebackenen Kigel, ihren köstlichen Nudelpudding, anschwellen.
Letzte Nacht hatte Hannah im Traum das blaue Gewand der Muttergottes auf dem Bild der Verkündigung getragen, das er einmal durch die Kirchentür von San Zaccaria gesehen hatte. Liebesworte flüsterte sie ihm zu, die ihm beim Aufwachen noch frisch im Kopf waren und die er fieberhaft notierte. Als er sie später noch einmal las, wusste er, dass sich mit ihnen Eis zum Schmelzen bringen ließ, gar nicht zu reden vom Herzen einer Frau.
Jetzt, unter seinem Olivenbaum auf dem Platz sitzend, versuchte Isaak, die Erinnerung an seinen Traum wegzuwaschen. Er biss in ein Stück Brot, das er sich in sein Hemd gesteckt hatte. Es war sehr hart, und da er Angst hatte, sich einen Zahn abzubrechen, zerkleinerte er es mit den Händen und lutschte die einzelnen Stücke, bis sie aufweichten und sich zerkauen und hinunterschlucken ließen. Den Brief hatte er sicher in den Bund seiner neuen Hose gesteckt; er knitterte und stach ihm in den Bauch, und während er seine Schreibutensilien ausbreitete, Tinte, Feder, Pergament, hielt er nach Hector Ausschau, dem örtlichen Vertreter der Gesellschaft für die Befreiung Gefangener, der sein Schicksal in der Hand hielt.
In den letzten Wochen hatte er für ein paar Münzen, mit denen er sich etwas Hirsebrei, trockenes Brot und gelegentlich ein Stück Obst kaufen konnte, Stoffballen geschleppt, Vorräte auf die Schiffe am Anleger geschafft und Joseph dabei beobachtet, wie er Sklaven an die Galeerenkapitäne verkaufte. Hector war nirgends zu sehen gewesen.
Isaak seufzte, und plötzlich, wie aus dem Nichts, tauchte Joseph vor ihm auf, rieb sich die Schläfen und sah besorgt aus. »Hast du meinen Brief? Ich brauche ihn jetzt. «
Isaak zog ihn aus dem Hosenbund hervor, blies theatralisch Staub und Schmutz herunter, wischte mit der Hand ein paar Ameisen zu Boden und überreichte ihn Joseph mit großer Geste.
Wie viele ungebildete Männer schüchterte Joseph der Anblick des geschriebenen Wortes ein. Vorsichtig nahm er das Blatt, entfaltete es und tat so, als lese er es. Isaak wartete geduldig. Eine Möwe flog über sie hinweg und verfehlte Josephs Kopf nur knapp mit einem Klecks ihres Exkrements. Der Brief sagte alles, was ein Liebender seiner Angebeteten nur sagen konnte und was auch Isaak Hannah sagen würde, sollte er sie je wiedersehen.
»Soll ich Euch Euer Meisterwerk vorlesen?«, fragte er und nahm Joseph den Brief wieder ab.
Joseph nickte, sah zu Boden und zog sich die von Schafspisse gelb gefärbte Hose hoch, was einen beißenden Geruch freisetzte. Seine Mähre kam näher, und ihre Ohren zuckten hin und her wie Krähen auf einem Ast.
Gewöhnlich las Isaak in einem getragenen Ton, der eher zu einer Vorladung passte als zu einem Liebesbrief, aber dieses Mal nutzte er seine Erfahrung als gelegentlicher Vorsänger in der Synagoge und sang mit hoher, klarer Stimme: »Liebste Gertrudis.«
Als er fertig war, hatten sich Tränen in Josephs Augen gesammelt. »Ein sehr schöner Brief, ich hätte es selbst nicht besser machen können.« Er putzte sich die Nase mit einem Lumpen, machte dabei einen Lärm wie ein rufender Gänserich und besah sich seinen Auswurf, als wären Perlen und Rubine darin zu finden.
Es gab einen Satz, nur einen einzigen Satz,
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