Die Hebamme von Venedig
der noch nicht ganz vollendet und vollkommen war. Isaak sagte: »Da ist noch eine kleine Einzelheit, die Ihr mir sagen müsst: Welche Farbe haben Gertrudis’ Augen?« Isaak hätte beinahe braun geschrieben, denn das war die Farbe von Hannahs Augen.
»Verdammt sei ich, wenn mir das je aufgefallen ist«, sagte Joseph. »Welche Augenfarbe haben die meisten Frauen?« Er hängte sich die Rolle Hanfseil, die er dabeihatte, von einer Schulter auf die andere. »Braun, würde ich sagen.« Er drehte den Kopf, um seine Mähre anzusehen. »Die gleiche Farbe wie die alte Cosma hier. Und was mir dabei auch noch einfällt: Sie hat auch Wimpern.«
Kannte die Dummheit dieses Mannes, der Isaaks Leben in Händen hielt, denn kein Ende? Isaak setzte das Wort »dunkel« ein, sprenkelte etwas Sand darüber, wartete, bis die Tinte trocken war, und deutete auf das Ende des Briefes. Joseph drückte einen so schmutzigen Daumen auf das Pergament, dass es gar nicht nötig war, ihn vorher mit Tinte zu bestreichen. Isaak streute jetzt auch noch Sand auf Josephs Fingerabdruck, hielt den Brief einen Moment in die Sonne, damit auch wirklich alles trocken war, faltete ihn zu einem Rechteck und ließ Wachs darauf tropfen, um ihn zu verschließen. Als das Wachs so gut wie trocken war, versiegelte er es mit dem eigenen Daumen.
»Bringt ihr den Brief und macht Euch bereit. Sie wird in Eure Arme sinken.«
»Sehen wir, was sie zu sagen hat.«
Isaak klopfte auf den Brief und gab ihn Joseph.
»Vielleicht siehst du Venedig in diesem Leben ja doch noch wieder, mein Freund«, sagte Joseph und griff nach den Zügeln seines Pferdes, wobei ihn diese Geste zu seinem alten Ich zurückkehren ließ. »Geh hinüber in die Werkstatt. Da wartet Arbeit auf dich.« Damit schritt er neben seiner Mähre Richtung Hafen, vermutlich, um Gertrudis die Zeilen zu überbringen.
Es schmerzte Isaak, Joseph mit einem Brief die Straße hinuntergehen zu sehen, der eigentlich für Hannah gedacht war.
Er seufzte, packte seine Tinte, das Pergament und die Feder in ein Tuch und verknotete die Ecken. So in Gedanken versunken war er, dass er zusammenschrak, als er durch den schwefeligen Rauch von den Schiffswerkstätten einen schlaksigen, pferdegesichtigen Mann auf sich zukommen sah. Seinen Gaul hatte er an einen Baum gebunden. Das musste Hector sein. Schwester Assunta hatte gesagt, dass er ein Gesicht wie ein Pferd hätte. Nun verfiel der Kerl in eine Art Trab, und Isaak fragte sich, warum er nicht gleich bis zu ihm herangeritten war. Der Mann trug so kurze Kniebundhosen, dass sie einen, wäre er Venezianer gewesen, zu der Annahme verleitet hätten, er wartete auf die Flut. Ganz allgemein hatte es den Anschein, als trüge er die Kleider eines kleineren, gedrungeneren Bruders. Über seiner Brust spannte sich eine enge Weste aus schwarzer Wolle.
Die Esecutori contro la Bestemmia würden keine Seide, keine Ringe und keine goldenen Ketten an diesem Mann finden, nichts, was gegen die Luxusgesetze verstoßen hätte, und doch hatte er etwas Geckenhaftes, was an der Art liegen musste, wie er sein Halstuch trug, und daran, dass sein Hemd mit einem heißen Eisen gebügelt schien, oder doch zumindest zwischen zwei Platten gepresst worden war.
Der Mann blieb vor Isaak stehen und warf einen dunklen Schatten auf dessen Knie und die zerrissene Hose. »Hallo, Signore, er muss Isaak Levi sein.«
»Hector, nehme ich an?« Isaak stand auf und reichte ihm die Hand. »Isaak Levi, zu seinen Diensten.«
Hector erwiderte Isaaks Geste. »Er schlägt sich also durch?«, fragte er mit einem Blick auf die Schreibfeder, die aus Isaaks Bündel ragte. »Er schreibt Briefe für die Leute hier?«
Hectors Stimme klang etwas schrill, aber nett. Er roch angenehm nach Holzrauch und Zitronen.
»Joseph, der Mann, dem ich gehöre, hat zugestimmt, dass ich den Leuten meine Schreibdienste anbiete, solange ich ihm zwei Drittel meiner Einnahmen überlasse.« Um seine Nervosität zu kaschieren, schwatzte Isaak weiter: »Ich bin, wenn man so will, der Einäugige im Land der Blinden.« Er grinste. »Aber genug von meinem Gefasel. Was gibt es Neues aus Venedig?« Isaak griff nach Hectors Arm und führte ihn zu einem herumliegenden Stück Baumstamm, auf das sie sich setzten, wobei er sich alle Mühe gab, seine Nervosität zu verbergen und so ruhig zu tun, als säße er an seinem Schreibtisch im Ghetto. »Gibt es Nachricht von meiner Frau Hannah?«, fragte Isaak.
»Die Gesellschaft schreibt mir, dass es ihr gut geht.«
Da
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