Die Hebamme von Venedig
mit dem Kind. Marias Knie drückte Hannah in die Hüfte, als sie sich kleiner zu machen versuchte. Hannah schob sich zwischen Statue und Wand, aber was sie auch tat, ein Teil ihres Beckens schob den Damastvorhang verräterisch hinaus auf den Gang. Es half nichts, sie musste der Jungfrau ihre Tasche mit den Geburtslöffeln und den Dukaten auf die gefalteten Hände drücken. Hannah holte tief Luft, fasste die Statue um die Taille und drängte sich ganz nahe an den Marmor, der kalt war wie das Kanalwasser im Winter. Sie zitterte und widerstand dem Impuls, zurückzuweichen. Das hätte sie verraten.
Durch den schmalen Spalt zwischen den beiden Vorhanghälften sah sie Jacopo und Niccolò den Korridor entlangschleichen. Niccolò hielt ein Bündel in den Armen, stolperte, fluchte leise und hätte das Bündel beinahe fallen lassen. Kurz bevor die beiden ihr Versteck erreichten, schob Hannah den Vorhang mit dem Knie völlig zu. Sie konnte Jacopos Eau de Cologne und Niccolòs Schweiß riechen, und ihr Herz schlug so laut, dass sie Angst hatte, die Brüder könnten es hören. Atemlos lauschte sie, wie die beiden die Treppe hinuntergingen.
Als sie ihre Schritte nicht länger hören konnte, nahm Hannah der Jungfrau ihre Tasche wieder ab, zwängte sich hinter der Statue hervor und folgte den Brüdern des Conte die Treppe hinunter, immer mit einer Hand am steinernen Geländer. Hannah lauschte auf mögliches Babyjammern, aber alles, was sie hören konnte, war ihr eigener rasselnder Atem und das Geräusch sich entfernender Schritte.
Unten angekommen, verlor sie die beiden Männer aus den Augen. Zur einen Seite hin lag der Ausgang, davor und auf der anderen Seite erstreckten sich Lagerräume und die Geschäftsräume der Familie. Sie linste in die Dunkelheit und wusste nicht, wohin sie sich wenden sollte. Da hörte sie einen Schrei, den erschreckten Schrei eines Babys.
Er kam vom anderen Ende der Lagerräume, wo die Boote ihre Ladung löschten. Eine Fackel in einem Wandhalter zischte und spuckte. Vor der rechteckigen Öffnung zum Ladesteg war eine dunkle, in einen Mantel gehüllte Gestalt zu erkennen. Hannah hockte sich hinter ein Fass, um nicht gesehen zu werden. Die Gestalt trat nach draußen und rückte sich das Bündel in den Armen zurecht. Hannah pirschte sich vorsichtig näher. Von Jacopo war nichts zu sehen.
Wenn auch kaum Licht vom Himmel auf die Gestalt fiel, reichte es doch, die vorstehende Nase und das lockige Haar Niccolòs ausmachen zu können. Er war dabei, in eine Gondel zu steigen. Das Bündel in seinen Armen schrie immer heftiger, und Niccolò drückte dem Kleinen eine Hand über Mund und Nase. An Bord der unter der neuen Last wankenden Gondel legte Niccòlo Matteo in die kleine Kabine, nahm das Ruder und stieß sich vom Ladesteg ab.
Hannah sah sich um und hoffte, einen Diener zu entdecken, aber es war niemand da, nicht mal ein Nachtwächter, und es blieb auch keine Zeit, nach oben zu laufen und Hilfe zu holen. Aber wer würde ihr überhaupt noch helfen, jetzt, wo der Conte und die Contessa abgereist waren? Die Gondel glitt über das dunkle Wasser in die Mitte des Canal Grande. Niccolò verschwand mit dem Kind!
Angst erfasste Hannah. Es war gefährlich für einen Juden, sich nach Einbruch der Dunkelheit außerhalb des Ghettos zu bewegen, umso mehr für eine Frau, die ganz auf sich gestellt war. Aber Hannah musste handeln. Sie rannte zum vorderen Eingang und hoffte, noch rechtzeitig zu kommen, um der Gondel folgen zu können. Als sie die Calle erreichte, verschwand das Boot bereits in der Ferne, Niccolò war gerade noch am Ruder zu erkennen.
Hannah raffte die Röcke, rannte, wie sie noch nie gerannt war, und stieß einige dunkel vermummte Gestalten zur Seite, die trotz der späten Stunde noch unterwegs waren. Es herrschte Flut, und die Straßen standen an vielen Stellen unter Wasser. Ihre Sandalen saugten sich voll und wurden schwerer und schwerer, so dass sie einen Moment stehen blieb, sie sich von den Füßen riss und in die Tasche stopfte. Schon ging es weiter. Eine Barke schob sich vor Niccolòs Gondel, und er war gezwungen, einen Moment zu warten, was es Hannah ermöglichte, den Abstand zu verringern. Sie rannte, längst schweißgebadet, und wich einem abgestellten Handkarren aus. Schon nahm die Gondel wieder Fahrt auf und bewegte sich scheinbar mühelos den Canal Grande entlang, etwa fünfzig Schritt vor ihr. Nach der nächsten Biegung fuhr sie nördlich in den Rio San Marcuola. Wenn Niccolò die Richtung
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