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Die Hebamme von Venedig

Die Hebamme von Venedig

Titel: Die Hebamme von Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberta Rich
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du mir das versprechen, du kleiner Schelm?«
    »Wie gehen wir nun vor?«, fragte Hannah.
    »Mal sehen. Probieren wir einfach ein paar Dinge aus.«
    Hannah legte ein sauberes Tuch unter Matteo. Seine Hand griff nach seiner Wange, und er gurgelte und gurrte und bewegte seine befreiten Beine und Arme.
    Jessica rührte in einem kleinen Topf und fügte der Flüssigkeit darin einige Tropfen einer öligen Substanz hinzu. »Das ist der Eiter«, sagte sie und hielt den Stab hoch, an dem eine gelbe, zähflüssige Masse klebte. »Hoffen wir nur, dass Jacopo ihm nicht nahe genug kommt, um den Senfgeruch zu bemerken.«
    Hannah zog angewidert die Nase kraus. »Überzeugender und übelriechender geht es nicht. Du bist eine begabte Giftmischerin, besser als jeder Apotheker der Stadt.« Sie beugte sich über Matteo. »Ich hebe ihm das Kinn an, und du verteilst das Zeug auf seinem Hals, in den Achseln und auf der Leiste.«
    Während Jessica die Paste verteilte, rezitierte Hannah aus dem Buch Hiob:
    »Mein Leib ist bekleidet mit Maden und Krusten von Staub,
Meine Haut schrumpft und nässt,
Des Nachts wird mein Gebein mir ausgehöhlt …«
    »Um Himmels willen, hör auf«, sagte Jessica. »Das will ich im Moment nicht hören.«
    Mit Hilfe eines Tuchs beschmierte sie den kleinen Körper. Matteo wehrte sich gegen Hannahs Griff und wedelte protestierend mit den Armen, weil die Paste so kalt war.
    Hannah hielt ihm die Beine auseinander, damit Jessica gut an die Leisten kam, und sagte: »Der Geruch allein reicht aus, um den Todesengel in die Flucht zu schlagen.« Sie drehte den Kopf zum offenen Fenster hin und atmete vorsichtig ein.
    »Jetzt noch etwas Arsenpaste für sein Gesicht, damit er schön blass wird.« Jessica öffnete einen anderen Behälter und machte sich an Matteos rosige Wangen. »Dann gib Eierschale in seine Achseln und klebe sie mit der Schmiere hier fest. Das wird den schwarzen Beulen gleichen, an denen man die Pest erkennt.« Jessica versuchte, den Kleinen mit sanfter Stimme zu beruhigen, und stimmte ein Schlaflied an.
    Hannah folgte den Anweisungen ihrer Schwester, trug noch ein wenig mehr Paste auf und trat dann zurück, um ihr Werk zu bewundern. Matteo sah aus wie ein Abbild des Schwarzen Todes. Sie erschauderte. Einmal hatte sie einen so kleinen Leichnam gesehen, auf eine Barke geworfen, die auf dem Weg nach San Lazzaro degli Armeni, wo die Pesttoten begraben wurden, unter dem Ponte delle Guglie durchfuhr.
    Jessica hörte auf zu singen. »Hannah, angenommen …«
    »Was?«
    Jessica zögerte. »Angenommen, durch die aufgemalten schwarzen Beulen lenken wir die Pest auf Matteo? Angenommen, der Todesengel glaubt tatsächlich, Matteo hat die Pest und holt ihn weg?«
    »Hast du deinen Verstand gleich mit abgegeben, als du deine Religion hinter dir gelassen hast? Du denkst wie eine Christin.« Hannah legte den Spatel beiseite, mit dem sie die Beulen geformt hatte, und sah ihre Schwester an. »Der Engel des Todes wird glauben, dass der Junge bereits erkrankt und seine Arbeit getan ist, und ihn nicht weiter beachten. Im Übrigen muss er längst satt sein. Letzte Nacht sind die Lastkähne kaum unter den Brücken des Rio della Sensa durchgekommen, so voll waren sie mit Leichen. Warum sollte er sich jetzt noch bemühen, Babys zu jagen? Mach dir lieber Sorgen wegen Jacopo.«
    Hannah griff nach dem Kübel mit Ziegenmilch neben dem Bett und begann Matteo zu füttern, so wie er es schon gewohnt war, mit einem getränkten Tuch, das sie ihm an die Lippen hielt. Als er genug hatte, schlossen sich seine Augen, und er schlummerte friedlich vor sich hin, von seinem fürchterlichen Anblick völlig unbehelligt.
    »Ein Engel im Teufelsgewand«, bemerkte Hannah, deckte ihn zu und war dabei darauf bedacht, die Eierschalen-Beulen nicht zu verwischen. »Trotzdem brauchen wir ein Messer, Jessica. Für alle Fälle.«
    Jessica stellte ihren Cremetopf ab und kam kurz darauf mit einem Messer zurück, das sie ihrer Schwester reichte. »Hannah«, sagte sie, »ich verdiene mein Geld damit, Gefühle vorzutäuschen, die ich nicht habe, und Dinge zu sagen, an die ich nicht glaube. Aber jemanden umbringen, das schaffe ich nicht.«
    Hannah, die immer noch das Geräusch im Ohr hatte, mit dem das Schächtermesser auf Niccolòs Knochen gestoßen war, erschauderte. »Ich lege es unter das Kopfkissen.« Konnte sie es noch einmal tun? Einen Mann angreifen, als wäre sie vom Teufel besessen?
    Hannah setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett und mühte sich, nicht das

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