Die Hebamme von Venedig
Gesicht zu verziehen, als ihre Schwester mit einer Tinktur von der Beschaffenheit roher Hühnereier zu ihr trat. »Bemale mich mit deinen Pasten und Salben«, sagte sie, »und lasse mich in ihrem Gestank marinieren.« Ihr Blick fiel auf einen Vorhang aus roter und goldener Seide hinter dem Bett, der ihr bisher noch nicht aufgefallen war. »Was ist hinter diesem Vorhang?«
Jessica schob ihn zur Seite und gab den Blick auf eine Tür frei, die gerade groß genug war, dass ein Mann durch sie hindurchschlüpfen konnte. »Ein Fluchtweg für alle, die die Diskretion der Bequemlichkeit des weiten Treppenhauses vorziehen.«
»Führt er auf die Fondamenta?«, fragte Hannah.
»Ja, zum Kanal.« Jessicas Gesicht nahm einen konzentrierten Ausdruck an. »Erst brauchst du eine Schicht von dieser Paste, als Grundierung, wie Gesso, den Gips unter einem Fresko. Wenn sie getrocknet und verhärtet ist, wirst du nicht mehr sprechen können, ohne dass sie bricht. Das gibt mir die Gelegenheit, dir etwas zu sagen, was ich dir schon lange sagen will. Also hör zu und unterbrich mich nicht.«
Hannah ärgerte es, wie ihre kleine Schwester ihr Anweisungen gab, aber es hatte ganz den Anschein, als bliebe ihr keine andere Wahl, als es hinzunehmen.
»Oft, liebe Hannah, weigerst du dich über Dinge zu sprechen, über die gesprochen werden muss, und hoffst einfach, dass sich alles von selbst löst. Aber das tut es diesmal nicht.« Jessica begann, die Paste mit einem hölzernen Spachtel aufzutragen, dessen Ende wie das Ruder einer Gondel geformt war. »Vielleicht ist das jetzt die letzte Möglichkeit auszudrücken, was mir am Herzen liegt.« Jessica verteilte die Creme gleichmäßig. Sie arbeitete schnell. »Wir haben beide unrecht, wenn wir uns gegenseitig kritisieren. Für den Fall, dass wir das hier nicht überleben, entweder weil Jacopo uns umbringt oder weil uns die Prosecuti zu Tode foltern, sollst du wissen, dass ich dich liebe.«
Hannah wollte etwas sagen, aber Jessica legte ihr einen Finger auf die Lippen und verstrich einen Klecks Paste unter ihrer Nase und auf ihrem Hals. »Schon bald wirst du, so Gott will, Matteo seinen Eltern übergeben und nach Malta zu deinem Isaak segeln …«, Jessica legte eine kleine Pause ein, »dem du so treu ergeben bist. Du hast Glück mit ihm. Für mich sind Männer eine Geldquelle, und ich weiß, dass du Dinge genossen hast, die ich nie erlebt habe.«
Die Maske aus weißer Paste verbarg ihre Gefühle, aber Hannah wollte ihrer Schwester sagen, dass Isaak sie zum Lachen bringe, dass er gütig und liebevoll sei und im Bett darauf warte, dass sie zuerst ihre Erfüllung finde.
Jessica hob die Hand. »Lass nur, ich weiß schon, was du sagen willst.« Sie rieb die Paste auf Hannahs Stirn. »Liebe kann man nicht erklären«, fuhr sie fort. »Du denkst, ich habe mich zu sehr an den Luxus gewöhnt. Du denkst, ich habe meine Seele für Silber, Spitze, Tische mit Intarsien und ein vergoldetes Himmelbett verkauft. Aber so ist es nicht.«
»Ich …«, begann Hannah, spürte jedoch gleich, wie die Maske riss.
Jessica küsste sie aufs Haar und befahl ihr, ruhig zu bleiben. Sie gab Hannah einen Tiegel mit einer übelriechenden, gallertartigen Salbe. »Wir werden Jacopo überlisten. Streich dir das unter die Achseln und auf die Leiste. Es wird stechen und die Haut röten, aber sie nicht schädigen. Um überzeugend zu wirken, musst du halbnackt sein und offenbar von Fieber geschüttelt werden, wenn er kommt.«
Hannah hatte über diesen Teil des Plans noch nicht weiter nachgedacht. Sie tauchte einen Finger in den Tiegel und erschauderte, als sie die fettige Mischung auftrug.
»Selbst wenn du so entsetzlich aussiehst wie jetzt, liebe ich dich.« Jessica fuhr mit einem Kamm in Hannahs dunkles Haar und verwandelte es in ein satanisches Durcheinander.
Hannah sprach durch nur ganz leicht geöffnete Lippen, um die trocknende Schicht auf ihrem Gesicht nicht zu zerstören. »Und wenn ich tagelang so mit dieser schrecklichen Maske hier ausharren muss?«
»Wir warten gemeinsam. Unser Plan kann funktionieren oder nicht. Er ist unsere einzige Hoffnung. Sich jetzt Angst einzureden, hilft nicht.« Jessica zwirbelte noch eine letzte Strähne auf Hannahs Kopf, trat ein Stück zurück, legte die Stirn in Falten und studierte das bleiche Gesicht ihrer Schwester, die schwarzen Ringe unter ihren Augen und die Beulen auf Brust und Armen. Schnuppernd hob sie die Nase. »Ja, ich glaube, so geht es.« Sie nahm einen Spiegel von ihrem
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