Die Hebamme von Venedig
Schreibpult und reichte ihn Hannah. »Sieh dich an.«
Hannah erschrak vor ihrem Anblick. Sie sah aus wie der Inbegriff einer Pestkranken. Sie wandte sich Matteo zu und war froh, dass er zu jung war, um die Bedeutung dieses Gesichts zu verstehen, das ausgezehrt wirkte wie das einer Hexe, überdeckt mit nässenden Wunden, die Augen leer, das Haar wild und die Nase bis zur Unkenntlichkeit verformt. Schnell gab sie Jessica den Spiegel zurück.
Jessica griff unter ihr Bett. »Eine letzte Sache noch.« Sie fummelte eine Weile herum und holte schließlich ein in ein Tuch gewickeltes Paket hervor. »Hier ist ein Rebhuhnei, das ausgeblasen und mit Hühnerblut gefüllt wurde. Ich habe eine ganze Sammlung davon, falls einer meiner Kunden sich eine Jungfrau wünscht. Nimm es in den Mund, zerbeiße es im richtigen Moment und lass dir das Blut übers Kinn rinnen.«
Jessica half ihrer Schwester, den Rest ihrer Kleider auszuziehen und ins Bett zu klettern. Die Decke arrangierte sie so, dass die schlimmsten Schwellungen und nässenden Wunden zu sehen waren. Matteo legte sie neben sie.
»Sollen wir eine Partie Tabula spielen, um uns die Zeit zu vertreiben?«
Hannah schüttelte den Kopf. Alles, was sie denken konnte, war: Jacopo muss heute noch kommen.
Kapitel 17
I saak saß wie gewohnt auf dem zentralen Platz Vallettas, sein Kiefernbrett auf den Knien und den Rücken gegen den Olivenbaum gelehnt, als Hector auf seiner Mähre herangeritten kam. Hector stieg ab und wickelte die Zügel um den Sattelknauf, damit das Pferd frei auf dem Platz grasen konnte. Isaak schrieb gerade einen Brief für einen Bäcker aus Zabar, der sich neben ihm niedergelassen hatte.
»Ich bin gleich so weit, amico mio! «, rief er Hector ohne aufzublicken zu.
Eine Minute später beendete Isaak den Brief und steckte die Münze, die er dafür erhielt, in seine Hosentasche. Der Bäcker schob das Stück Pergament in die Ledertasche über seiner Schulter und ging Richtung Taverne davon.
Isaak stand auf und begrüßte Hector, auch wenn er im Grunde wütend war auf diesen Vertreter der Gesellschaft, der nichts tat, um ihm zu helfen – sah man einmal von dem Gebetsschal ab. Hector blickte düster drein.
»Was ist, mein Freund? Hat er unangenehme Nachrichten zu überbringen? Setzen wir uns in den Schatten, dann kann er mir seine Neuigkeiten berichten.« Isaak zog Hector neben sich auf den Holzstumpf unter dem Baum.
Wie schon beim letzten Mal saß Hector da und zog mit einem Zweig Striche in den Schmutz. Was er auch zu sagen hatte, er schien nicht damit herausrücken zu wollen.
»Genug gemalt, Hector. Was ist?«
»Es geht um seine Frau Hannah«, sagte Hector, ohne seine Kritzelei zu unterbrechen.
Isaak spürte, wie sich ihm das Herz zusammenzog. »Ja?«, sagte er und gab sich Mühe, Angst und Ungeduld aus seiner Stimme zu verdrängen.
Da brach es mit einem Mal aus Hector hervor, ganz so, als wollte er sich von den Worten befreien, bevor er die Nerven verlor. »Seine Frau hat gegen den Willen des Rabbis ein christliches Kind auf die Welt gebracht.«
Isaak hatte das Gefühl, Hector hätte ihm auf die Brust geschlagen und alle Luft genommen. Als er sich etwas erholt hatte, sagte er: »So etwas würde Hannah niemals tun. Das wäre nicht nur gegen das Gesetz, sondern würde auch sie und das ganze Ghetto in Gefahr bringen.« Aber noch während er sprach, begriff er, dass es vollkommen zu ihr passte, für das Wohl einer anderen Person ein Risiko auf sich zu nehmen.
»Mehr weiß ich nicht«, sagte Hector.
»Wer behauptet all das?«
»Das schreibt die Gesellschaft«, fuhr Hector in einem Ton fort, der beruhigend sein sollte. »Aber rege er sich nicht auf, alles wird gut. Sie sagen, sie hat das Leben der Frau und des Kindes eines Conte gerettet. Der Conte hat Einfluss und wird sie schützen.«
Isaak sprang auf die Füße und lief auf und ab, ohne die Steine zu beachten, die sich ihm in die Füße bohrten. »Nein, es wird nicht alles gut.« Wie konnte er Hector den Ernst der Lage erklären, einem Ungläubigen, der auf diesem felsigen Eiland mitten im Nirgendwo lebte? »Wenn in Venedig ein Spatz vom Himmel fällt, ist es immer gleich die Schuld der Juden.« Isaaks Kehle zog sich vor Angst um Hannah zusammen.
»Er übertreibt.«
»Einmal, vor vielen Jahren«, sagte Isaak, »wurde eine tote Frau vor den Toren des Ghettos gefunden. Sie war vergewaltigt und ermordet worden. Niemand wusste, wer sie war.«
Hector sah ihn unglücklich an. »Warum erzählt er mir das?
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