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Die Hebamme von Venedig

Die Hebamme von Venedig

Titel: Die Hebamme von Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberta Rich
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dann sackten seine Schultern in sich zusammen, und alle Hochstimmung wich aus ihm, als ihm bewusst wurde, dass er diese Raupen nirgends mit hin nehmen konnte, schon gar nicht auf eine Seereise. Sie brauchten Platz und mussten gefüttert werden. Das Ganze war von Beginn an eine dumme Idee gewesen. Hannah würde ihn nehmen müssen, wie er war, ohne auch nur irgendetwas in der Tasche, wie schon unter dem Hochzeitsbaldachin.
    Er drehte um und ging hastigen Schrittes zurück zur Tür, als sein Blick plötzlich etwas streifte, das ihn innehalten ließ. Er sah nach unten. Da stand ein Korb mit etlichen verpuppten Raupen, weiß und zerbrechlich aussehend wie Wachteleier. Er nahm die Tasche von der Schulter. Die Raupen sollte sie in Gottes Namen behalten, aber die Puppen würde er in seine Tasche verfrachten und sich mit ihnen davonmachen.
    Gerade als er sich vorbeugte, um ein paar von ihnen hochzunehmen, erklang eine Stimme von der Tür: »Die sind herrlich, nicht wahr?«
    Isaak fuhr herum, die Hand noch halb ausgestreckt. Schwester Assunta stand da, den Arm voller Maulbeerbaumzweige. Ihr Schleier hing schief und der Rock ihrer Tracht war bis zu den Knien hochgezogen.
    »Ich habe dich mit deinem Fußeisen herankommen hören. Willst mir meine Raupen stehlen, was?« Sie neigte den Kopf etwas, um besser an dem verrutschten Schleier vorbeisehen zu können. »Überrascht dich, dass sie noch leben? Wie du siehst, sind die Tierchen mit Gottes Hilfe aus ihren Eiern geschlüpft, und jetzt habe ich einen Stall voller Raupen, die gefüttert werden wollen.« Sie legte die Zweige auf den Boden und setzte ein paar Raupen darauf. »Ich schaffe Zweige heran, bis mir die Arme wehtun, aber diese Viecher geben keine Ruhe.«
    Isaak kam Schwester Assunta lebhafter vor, beseelter. Sie wirkte jünger und wacher, hielt sich aufrechter, schwenkte die Arme, scheuchte die Hühner aus der Küche und begutachtete die Raupen wie ein General, der seine Truppen inspizierte.
    »Bei dir wären sie nicht geschlüpft. Du bist ein Händler. Was weißt du schon von Seidenraupen?«
    »Ihr überrascht mich immer wieder neu, Schwester. Als ich die Eier hier zurückgelassen habe, wart Ihr voller Geringschätzung, schon für den Gedanken an Seide. Wolle sei für alle auf der Insel gut genug, ob Bauer oder Edelmann, so habt Ihr es gesagt, und dann habt Ihr mir noch das Schaffell an den Kopf geworfen.«
    »Sind wir so reich im Kloster der heiligen Ursula, dass ich die Gelegenheit vertun kann, armselige Bäume in Golddukaten zu verwandeln?«
    Falls sie den Anstand hatte, sich ihres plötzlichen Sinneswandels zu schämen, wusste sie es gut zu verstecken. »Schwester Caterina, eine der Novizinnen, hat mir eine Geschichte erzählt, die mich davon überzeugte, dass diese Insekten eine gottgesandte Möglichkeit sind, unser Kloster zur Blüte zu bringen.«
    »Ich habe keine Zeit, Euch länger zuzuhören.« Er näherte sich dem Korb mit den Puppen auf dem Boden und stellte seine Tasche daneben. »Ich muss weiter.«
    »Setzen«, befahl Schwester Assunta, als spräche sie mit einem Schulkind.
    Isaak ließ sich angespannt auf der rohen Holzbank nieder. Er musste jetzt wirklich los, wenn er die Provveditore noch rechtzeitig erreichen wollte.
    »Ich mache uns einen Zitronenmelissentee, und du hörst dir meinen Plan an.«
    »Macht Euch keine Umstände.«
    Sie nahm einen Kessel, der an einem Bügel über dem Herd hing, schüttete heißes Wasser in zwei steinerne Becher und stellte sie auf den Tisch. Sie setzte sich ihm gegenüber, wandte sich aber immer wieder ab, um nach den Raupen zu sehen. Wenn eine auf den Boden fiel, sprang sie mit einem mitfühlenden Glucksen auf und setzte sie zurück auf einen der Äste.
    »Vor vielen hundert Jahren«, begann Schwester Assunta, »schickte der byzantinische Kaiser Justinian I. voller Neid auf die chinesische Vorherrschaft in der Seidenindustrie zwei Mönche nach Osten, um die Geheimnisse der Seidenproduktion zu erkunden. Die Mönche studierten, wie die Raupen aus ihren Eiern schlüpften und sich verpuppten.« Stolz auf ihr Wissen legte sie eine Pause ein, damit er nicken konnte. »So eine Puppe ist ein Wunder der Natur, hart und robust. Die Mönche erfüllten ihre Aufgabe bestens und kehrten, ohne irgendeinen Verdacht zu erregen, nach Konstantinopel zurück, ihre Gehstöcke voller Seidenraupeneier. So brachten sie die Seide in den Westen.« Schwester Assunta schlug so fest auf den Tisch, dass die Becher hochsprangen. »Ein guter Trick,

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