Die Hebamme von Venedig
die beiden Soldaten jemanden die Fondamenta hinunter verfolgten. Hannah wandte sich zur Küche um.
Jessica lag auf dem Boden, das Gesicht vor die Schranktür gedrückt. Blut floss aus einer tiefen Wunde in ihrer Brust und färbte das Mieder ihres Samtkleides schwarzrot.
Kapitel 19
I saak trottete den Küstenweg hinunter und sah zur Provveditore hinüber, die in einiger Entfernung draußen vor Anker lag. Er achtete nicht auf die Schmerzen in seinen Beinen und die Blasen an seinen Füßen. Im Grunde hatte es keinen Sinn, dachte er, einen müden Fuß vor den anderen zu setzen, war er der Freiheit und seiner Rückkehr zu Hannah doch um keinen Deut näher als bei seiner Ankunft auf Malta. Hector hatte ihm klargemacht, dass die Gesellschaft ihm nicht helfen konnte, und seine Briefschreibebemühungen für Joseph waren kläglich gescheitert. Nach Gertrudis gierend, war Joseph wie Ikarus, der mit seinen wächsernen Flügeln der Sonne zu nahe kam, nur dass es in diesem Fall Isaak war, der in die Tiefe stürzte.
Gertrudis zeigte Joseph auch weiter die kalte Schulter, und das Ergebnis war, dass Striemen von Josephs Peitsche Isaaks Rücken zeichneten und er so gut wie nichts mehr zu essen bekam. Noch etwas länger, und der Hunger und die Schläge bedeuteten sein Ende. Seine einzige Hoffnung auf Flucht lag bei Gertrudis, die ihm versprochen hatte, ein Boot zu besorgen, mit dem er aufs Meer hinausrudern und sich auf ein Schiff stehlen konnte. Falls er aufgegriffen und als blinder Passagier über Bord geworfen wurde, gut, dann sollte es eben so sein. Das wäre wenigstens ein schneller Tod.
Von seiner Position aus sah er die Matrosen der Provveditore , klein wie Mäuse, die sich anschickten, die mächtigen Segel an Rahen und Masten anzubringen. Am nächsten Morgen würde das Schiff in aller Frühe die südlichen Winde von der Küste Nordafrikas nutzen, und mit etwas Glück war er mit an Bord.
Aber zuvor musste er sich noch etwas zurückholen, das ihm gehörte. Isaak hatte jeden einzelnen Dukaten verloren, als die Malteser sein Schiff gekapert und ihn versklavt hatten. Sollte er es tatsächlich zurück nach Venedig schaffen, würde er Hannah nichts zu bieten haben. Daher wollte er sich zumindest das Einzige sichern, was noch ihm gehörte, die Seidenraupen, obwohl er wusste, wie wahnsinnig es war, dafür sein Leben zu riskieren.
Die Glocken vom zentralen Platz läuteten sechs Mal. Während der Vesper wollte er sich in Schwester Assuntas Küche schleichen, seinen kleinen Beutel hinter dem Herdziegel hervorholen und längst wieder auf und davon sein, ehe sie die Zeit und Möglichkeit hatte, ihn zu erwischen.
Die Tasche mit den paar Dingen, die er hier auf Malta bekommen hatte, einem zweiten Hemd, einem Gürtel, seinen Schreibfedern und dem Pergament, hing ihm über der Schulter. Er erreichte das Klostergelände. Im Olivenhain und im Obstgarten war niemand zu sehen, alles lag verlassen da. Die Nonnen mussten in der Kapelle sein.
Er drückte die Tür zur Küche auf und schlich auf den mächtigen Herd am anderen Ende des Raumes zu. Der Ziegel war der zweite von links in der zweitobersten Reihe. Vorsichtig nach Schwester Assunta Ausschau haltend, näherte er sich seinem Ziel. Der Ziegel würde leicht herauszuziehen sein, und schon würde er in die sich auftuende Lücke greifen und den Beutel mit den Eiern in seinem Hemd verschwinden lassen. Leicht gebeugt schlich er weiter vor, stolperte jedoch unvermutet über einen Haufen Maulbeerbaumzweige, die vor dem Herd lagen. Verdutzt wollte er sie umkreisen, als er sah, dass sich überall auf ihnen etwas bewegte. Er beugte sich vor.
Unmengen von Raupen krochen und kletterten da herum, kämpften um günstige Positionen und taten sich an Blättern und Zweigen gütlich. Gott sei gelobt! Die Larven waren geschlüpft! Assunta hatte sie nicht an den Hahn verfüttert. Er verspürte den Drang, die Arme zum Himmel zu erheben und die Hora zu tanzen. Ein paar der weißen, zylindrischen, fein behaarten Raupen fielen offenbar vollgefressen auf den Boden. Jede von ihnen war etwa so lang wie ein Finger und hatte zwölf Ringe um den Leib, die wie mit einem Faden hineingebunden wirkten. Der Bereich hinter den Kauwerkzeugen war dick und geschwollen, und das orgiastische Durcheinander sich windender, drehender Körper hatte etwas Abstoßendes, aber auch Packendes. Das Geräusch des gemeinsamen Kauens klang wie das leise Summen eines Kantors, und Isaak konnte seine Augen nicht von dem Gewimmel lösen.
Aber
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