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Die Hebamme von Venedig

Die Hebamme von Venedig

Titel: Die Hebamme von Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberta Rich
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dem Kopf gegen Matteos Hängematte geschlagen. Tarsi ließ einen leisen Schmerzensschrei hören. Die unvermittelte Bewegung hatte Hannahs Hand von den Geburtslöffeln gerissen.
    Es konnte nicht recht sein, Gottes Wirken zu durchkreuzen, indem sie eine Empfängnis verhinderte. War das seine Art, ihr das zu sagen?
    Hannah nahm ihre Position wieder ein, kniete sich neben Tarsis angewinkelte Knie und legte ihr die Hand zwischen die Beine. Die Geburtslöffel haltend, nahm sie den Kiesel zwischen Zeige- und Mittelfinger, schob ihn durch Geburtskanal und Muttermund in die Gebärmutter, zog Hand und Löffel aus Tarsi, und in weniger Zeit, als man für ein Sabbatgebet brauchte, war die Aufgabe erledigt.
    »Brav, gut gemacht. Bleibt jetzt nur noch ein wenig liegen und ruht Euch aus.« Hannah wusch ihre Hände und auch die Geburtslöffel, wandte sich dabei aber von Tarsi ab.
    »Ich bin so froh, dass es vorbei ist.« Tarsi atmete tief ein und aus, ob aus Erleichterung oder Schmerz, konnte Hannah nicht sagen.
    »Ihr blutet noch etwas von Gülbahars Geburt, was Euer Inneres weich macht, und so habt Ihr den Kiesel problemlos aufgenommen. Ihr müsst nur aufpassen, dass er nicht wieder herausfällt. Ihr solltet eine Weile liegen und dafür sorgen, dass sich der Körper an den Kiesel gewöhnt. Hoffen wir, dass Euer Körper ihn nicht gleich wieder hinauswirft.«
    »Wird Euer magischer Kiesel funktionieren?«
    »Das werden wir sehen«, sagte Hannah.
    Fliegen sammelten sich um Matteos Augen, angezogen von der Feuchtigkeit. Hannah verscheuchte sie und sagte, nachdem einige Minuten verstrichen waren: »Und jetzt bringt mich bitte zu Eurer Amme. Matteo muss die Brust bekommen, solange er noch die Kraft hat zu saugen.« Sie half Tarsi, sich wieder anzukleiden, und band sich Matteo samt seiner Decke auf den Rücken, damit sie die schmale Leiter an Deck hinaufklettern konnte. Über der Schulter trug sie ihre Tasche mit Bockshornklee und Benediktenkraut für die Amme.
    Oben angekommen, blieb Hannah einen Moment stehen und atmete die frische Meeresluft ein. Tarsi hakte sich bei ihr unter und wies ihr den Weg. Sie überquerten das Gitter über dem Laderaum, aus dem es nach Tierfellen und getrocknetem Fisch roch.
    »Ihr dürft Hatice nicht nach ihrem eigenen Baby fragen«, sagte Tarsi. »Es war ein Junge, und er ist bei der Geburt gestorben. Ihre Trauer ist so groß, dass sie keine Tränen mehr hat.«
    Ein totes Baby. Die Ärmste. Ein Kind zu bekommen und gleich wieder zu verlieren. War das nicht schlimmer, als nie ein Kind geboren zu haben?
    Hannah folgte Tarsi eine Leiter hinauf und einen Gang hinunter. Die Türkin drückte die polierte Eichentür ihrer Kabine auf, in der es ein großes Bullauge gab, um frische Luft und Licht hereinzulassen. Auf dem Boden lagen große dicke Kissen und ein Seidenteppich und in die Wand eingelassen waren mehrere robuste Kojen zum Schlafen.
    »Mit Hatices Hilfe wird sich Euer Sohn ganz schnell wieder erholen«, sagte Tarsi.
    Der Raum roch nach Wickeltüchern. In der Ecke, gegen ein Kissen gelehnt, saß ein Mädchen, klein wie eine Zehnjährige. Sie stand nicht auf, als sie hereinkamen, und reagierte auch nicht auf Tarsis Gruß. Erst dachte Hannah, es sei eine von Tarsis Töchtern, aber als sich ihre Augen an das Dämmerlicht gewöhnten, konnte sie die strampelnde Gestalt eines Babys erkennen, das an der Brust des Mädchens saugte, offenbar ohne großen Erfolg. Das Baby spuckte die Brustwarze aus, schrie verzweifelt und versuchte erneut, zu trinken. Hatice war ein heller Typ, wie die meisten Tscherkessen, und so bleich, dass man denken konnte, sie sei von Egeln leergesaugt worden.
    »Hatice, das ist Hannah. Sie hat Probleme, und wir müssen ihr helfen. Ihr Baby …«, sie machte eine Geste zu dem Bündel auf Hannahs Rücken hin, »braucht unbedingt Milch.«
    Hatice hob nicht einmal den Kopf. Sie hielt Tarsis Baby mit einer Hand, Po und Beinchen hingen frei in der Luft, und kümmerte sich nicht weiter darum, ob die Kleine auch trank. Mit ihrer freien Hand tätschelte Hatice ein kleines Mädchen von etwa zwei Jahren, das dösend neben ihr lag. Hannah sog die Luft ein. Es roch nach Erbrochenem. Wie es aussah, forderte die unruhige See von allen ihren Tribut.
    Zwischen den luxuriösen Kissen lagen noch mehr Mädchen von verschiedenem Alter, und zwar so eng aneinandergedrängt, dass sich nur schwer sagen ließ, wo der Körper des einen begann und der des anderen aufhörte.
    »Hatice«, sagte Tarsi jetzt lauter, und als

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