Die Hebamme von Venedig
Prozedur umso schwieriger machen würde. Hannah wusch sich die Hände in einer Schüssel mit frischem Seifenwasser. Einen glatten kleinen Kiesel zu finden war kein Problem gewesen. Sie hatte sich nur auf Deck umsehen müssen, um gleich eine ganze Reihe in den Ritzen zwischen den Planken zu entdecken. Der Stein hatte etwa die Größe einer getrockneten Erbse und fühlte sich ganz glatt an, als sie ihn sauber schrubbte. »Öffnet Eure Knie wie die Blüte einer Blume.« Hannah sprach mit fester, selbstsicherer Stimme, um Tarsi ihre Angst zu nehmen.
»Ihr werdet mir nicht wehtun?«
»Ich werde ganz vorsichtig sein. Ihr müsst ruhig bleiben und gleichmäßig durch den Mund atmen.«
»Und das da wollt Ihr benutzen?« Tarsi zeigte auf den Kiesel. »Ich verstehe nicht, wozu.«
»Letztes Jahr kam ein Koschenillehändler, ein sephardischer Jude, aus der Levante zurück und erzählte meinem Mann von den Beduinen. Sie geben einen Kiesel in die Gebärmutter der weiblichen Kamele, um sie für die lange Reise durch die Wüste unfruchtbar zu machen.« Als Isaak ihr die Geschichte erzählt hatte, konnte Hannah nicht begreifen, wie das funktionieren sollte. Dann, nachdem sie sich die Sache genau überlegt hatte, dachte sie, vielleicht würde die schützende Hülle des männlichen Samens von dem Kiesel zermahlen wie ein Pfefferkorn in einem Mörser. Hannah hatte die Beduinengeschichte auch mit einigen anderen Hebammen besprochen, aber keine hatte je gehört, dass so eine Technik auch schon einmal bei einer Frau angewandt worden war.
»Aber ich bin kein Kamel«, sagte Tarsi und wollte sich schon wieder aufrichten.
»Und ich kein Beduine«, sagte Hannah, gab etwas Mandelöl in ihre Hände und rieb ihre Haut und den Kiesel ein. »Hier«, sie hielt das Steinchen in die Höhe. »Sie hat Perlen, die größer sind. Keine Sorge. Es besteht keine Gefahr.« Hannah versuchte sich Mut zuzusprechen, tatsächlich aber konnte selbst ein so kleiner Gegenstand an einem Ort, an den er nicht gehörte, Schmerz und Eiterfluss verursachen. Wie ein Hauch Asche im Auge.
Hinzu kam, dass Tarsi erst vor kurzem ein Kind geboren hatte und Hannah vorsichtig sein musste, mit dem Kiesel nicht den Heilungsprozess zu stören und so frische Blutungen hervorzurufen. Das Ganze wäre schon an Land eine riskante Sache und war es erst recht auf dieser Galeone, die nie zu schaukeln aufhörte. Man konnte das Gefühl haben, Gott machte sich einen Spaß daraus, das Schiff wie ein etwas unbeholfener Jongleur ausgelassen von einer Hand in die andere zu werfen.
Tarsi öffnete die Knie. Hannah ließ zwei Finger in sie gleiten, um die Öffnung des Schoßes zu erfühlen, und begriff schnell, dass sie den Kiesel nicht einfach so tastend in die Gebärmutter bekommen konnte. Erst musste sie sehen, ob der Muttermund geöffnet war oder verschlossen. Vielleicht ging es mit den Geburtslöffeln. Sie griff nach ihrer Tasche und holte sie hervor. In alldem Trubel hatte sie nicht einmal daran gedacht, sie zu säubern. Die Sekrete von Matteos Geburt klebten noch daran, und sie kehrte Tarsi den Rücken zu, wusch die Löffel in ihrem Seifenwasser und trocknete sie sorgfältig mit einem sauberen Tuch ab. Dann legte sie ein Handtuch über Tarsis angewinkelte Knie, damit ihre Patientin nichts von ihrem Tun mitbekam.
Nachdem Hannah die Löffel eingeölt hatte, führte sie sie in Tarsi ein und öffnete sie ganz vorsichtig. Nun wurde der Muttermund sichtbar, der sich nach der Geburt Gülbahars zum Glück noch dehnen ließ.
Schritte näherten sich. Tarsi stöhnte leise. Ein Paar schwere Stiefel schien hinter ihnen innezuhalten, um dann schnell die Stufen hinaufzusteigen. Jessica hatte recht gehabt: Männer wollten von Frauensachen nichts wissen. Der Gedanke an ihre Schwester trieb ihr für einen Moment Tränen in die Augen. Nach all den Jahren durfte sie kaum noch darauf hoffen, aber sollte Gott eines Tages lächeln und ihr eine Tochter schenken, wollte Hannah sie Jessica nennen.
Hannah legte eine Hand auf Tarsis Leib und versuchte, die Größe und genaue Lage der Gebärmutter zu erfühlen.
»Ihr habt sanfte Hände, Hannah, aber gleichwohl schmerzt es. Vielleicht ist es doch keine so gute Idee.«
»Versucht, ganz ruhig zu bleiben, und vergesst das gleichmäßige Atmen nicht.« Hannah war froh, nicht zu stehen, denn die Balbiana rollte dermaßen, dass sie sich kaum auf den Beinen hätte halten können. Ein plötzliches Aufbäumen des Schiffes schleuderte sie in die Ecke, und fast wäre sie mit
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