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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cantz Kerstin
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lassen. Und als die Bäuerin die Hand nach ihrer erstgeborenen Tochter ausstreckte, nahm Gesa ihr das Kind ab und legte es Jula an die Brust. Vielleicht sollte sie Dorit dafür danken, dass es nun unzweifelhaft und deutlich erschien, wie sie selbst sich zu entscheiden hatte: dass sie zurückgehen musste.

Elf
    WINDMOND
    Oben von Elgins Zimmer aus sah Marthe ihrer Herrin nach, wie sie die Gasse entlangeilte. Ein Windstoß, der sie an einer Häuserecke erwischte, fegte ihr die weite Mantelkapuze vom Kopf, griff in ihr Haar und spielte mit dem, was er außerhalb des gewundenen Knotens zu fassen bekam. Bevor Elgin zwischen den Häusern verschwand, sah die alte Magd noch eine Spitze ihres blauen Kleides aufblitzen.
    Es war kühl, aber sonnig, sodass der Tag nur Gutes erwarten ließ, und Marthe machte sich daran, das Zimmer aufzuräumen. Das Leben mit der Gottschalkin war wieder wie immer – so, wie sie es gern hatte. Außer den Mägden oder anderen Boten, die kamen, um sie zu den Frauen zu holen, störte sie niemand. Wenn die Herrin zu Hause war, hielt sie sich wieder allein hier oben in ihrem Zimmer auf – umgeben von Büchern und den Papieren, die sie mit einer steilen Schrift füllte. Die vielen geschriebenen Wörter flößten Marthe Respekt ein, ebenso die Striche, die sie durchkreuzten, um sie durch andere zu ersetzen – kleine, eng zwischen die Zeilen gezwängte Buchstaben, die noch besser erläutern sollten, was dort zu lesen war.
    Marthe konnte nicht lesen. Ebenso wenig vermochte sie zu erkennen, welche Pflanze im Herbarium fehlte. Jedoch das Wort unten auf der leeren, aufgeschlagenen Seite begann mit einem Buchstaben, der einer Schlange ähnlich sah.
    Ihr Geruchsinn allerdings war der einer guten Köchin, und zudem hatte sie eine ungute Erinnerung an das, was ihr in die Nase stieg, als sie den Kachelofen anheizte. In der oberen Tür des Ofens, dort, wo man etwas warm halten konnte, stand ein kleiner Steinkrug. Marthe griff danach, zögerte für einen Moment und schob ihn dann doch behutsam zurück.

    Der Stein war herzförmig und in Silber gefasst. Elgin konnte sich nicht erinnern, wann sie ihn jemals angewendet hatte. Nachdem mit ihrer alten Tasche die Korallenkette verloren gegangen war, hatte sie erstmals seit vielen Jahren an den Bergkristall gedacht und Marthe in den Truhen danach suchen lassen. Manche Frauen fanden unter der Geburt Trost in diesen Dingen. Vielleicht auch Agnes Büttner.
    Die Schmerzen mussten ihr Angst gemacht haben, anders konnte Elgin es sich zunächst nicht erklären, warum sie so außer sich war. Ihr Puls raste.
    »Schau, Agnes«, sagte Elgin und hielt den Stein ins Licht. »Kannst du erkennen, was darinnen ist?«
    Agnes sah gar nicht hin, sie wand sich auf dem Bett. In einem krampfhaften Rhythmus zog sie die Beine an und streckte sie wieder. Ihr Hemd und die zerwühlten Betttücher wanden sich um ihren Körper, das rote Haar klebte auf der feuchten, weißen Haut. So hatte Elgin sie vorgefunden, und bislang war es ihr nicht gelungen, sie zu untersuchen.
    Statt ihrer betrachtete Elgin die wolkigen Einschlüsse des Bergkristalls und sagte: »Er hat eine Menge Kraft, dieser Stein. Er gibt sie dir – einfach wenn du ihn in der Hand hältst. Er nimmt den Schrecken von dir. Eine alte Wartfrau hat ihn mir mal geschenkt, als ich eine noch nicht sehr erfahrene Hebamme war.«
    Die Wartfrauen fehlten, dachte Elgin. Noch meinte sie, dass sie es für Agnes hätten leichter machen können. Doch bis zuletzt war Büttners junge Frau bei dem Wunsch geblieben, die Geburt mit ihr allein zu bewältigen. Warum sie so sehr darauf beharrte, blieb ein Rätsel, das Elgin jetzt nicht weiter ergründen wollte. Erst später würde sie sich lange damit beschäftigen. Sie ließ sich am Bettrand nieder und fasste nach Agnes’ kalter Hand.
    »Wer weiß, wie viele Frauen diesen Stein schon gehalten haben, und vielleicht ist von jeder etwas in ihm.«
    »Glaubst du daran?« Agnes atmete flach.
    »Es fällt mir nicht schwer«, sagte Elgin. »Und ich möchte, dass du es versuchst.«
    Tatsächlich umschlossen ihre Finger den Stein, während Elgin ihr den Schweiß von der Stirn strich und sie aus den Betttüchern befreite. Agnes hielt die Augen auf sie gerichtet, bemühte sich, die Glieder ruhig zu halten.
    Als Elgin sie endlich untersuchen konnte, als es ihr gelang, die Schädelknochen des Kindes zu ertasten, als sie erschrak und langsam die Hände von Agnes zurückzog, fiel es ihr schwer, diesem Blick standzuhalten,

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