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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cantz Kerstin
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der rastlos nach einer Antwort suchte.
    »Du sagst nichts«, flüsterte Agnes, »du erklärst mir nichts. Sonst hast du es immer getan. Auf der Kommode. Die Bilder.« Jedes Wort gab sie mit einer Anstrengung von sich. Jetzt verstand Elgin, dass ihre Schmerzen unheilvoll waren, grausamer als jene, die sie selbst zu erwarten hatte. Sie stand auf.
    »Hol die Bilder«, hörte sie Agnes sagen. »Zeig mir doch, wie es sich befindet.«
    »Dein Kind ist sehr eigenwillig«, sagte Elgin, »es befindet sich in einer Lage, die ich dir nicht auf einem Bild zeigen kann. Wir werden versuchen müssen, es von etwas anderem zu überzeugen.«
    Sie hastete zur Tür, vor der die Magd auf Anweisungen wartete, und stellte sich im Stillen die sinnloseste aller Fragen: Warum? Warum war es ausgerechnet bei Agnes so gekommen? Elgin musste einen Arzt zu Hilfe holen. Und eben, als Elgin dem Mädchen auftrug, dass sie zum Haus Am Grün laufen sollte, so schnell es ihr möglich war, dass sie Professor Kilian oder dem jungen Doktor dringende Nachricht geben musste, sah sie Büttners weißen Haarschopf aus dem Dunkel des Flurs auftauchen.
    Einen quälenden Moment lang stand Elgin ihm gegenüber und schwieg gemeinsam mit ihm den gehetzten Schritten der Magd nach. Sein Schluchzen ließ sie zusammenzucken. Sie brachte es nicht fertig, von der Gefahr zu sprechen, die sie ahnte, von den Wehen, die bei Agnes’ Kind nicht ihren Zweck erfüllten, sondern stattdessen ihr Leben gefährdeten.
     
    Die bestürzende Neuigkeit, dass man im Haus des Kupferstechers nach einem Accoucheur geschickt hatte, verbreitete sich schnell in der Nachbarschaft.
    Man sah den Professor in großer Eile eintreffen, und als Büttners Magd ein weiteres Mal fortgeschickt wurde, diesmal, wie es hieß, nach dem Pfarrer, begaben sich zwei der Nachbarinnen ins Haus, um ihre Hilfe anzubieten. Diese fanden fanden es im Innern erschreckend still, nichts regte sich, es machte sie beklommen. Trotzdem wagten sie sich hinauf, und oben dann, im Flur, konnten sie ein gedämpftes Murmeln hören. Auf ihr Klopfen hin, würden die Frauen später erzählen, öffnete die Gottschalkin, und die Art, wie sie ihnen entgegentrat, verriet ihnen, dass der Tod in dem Zimmer näher war als das Leben.
    Nur kurz konnten sie einen Blick auf den Professor erhaschen, der bei Agnes am Bett stand, aber Büttner sahen sie besser, den ganzen Mann in seinem düsteren Kummer. Sie zogen sich schnell in die Küche zurück, um herzurichten, worum die Hebamme sie gebeten hatte, und während sie beschäftigt waren, belauschten sie weiter die Stille, bis diese ein Ende hatte.
    Kilian betrachtete die flatternden Augenlider der jungen Frau, die sich jeden Schmerzenslaut verboten hatte, seit er anwesend war. Auf der anderen Seite des Bettes beugte sich die Gottschalkin hinab und half ihr, den Kopf zu heben, sodass er der tapferen zarten Person eine erlösende Gabe Opium verabreichen konnte.
    Vom ersten Moment an hatte die Gottschalkin ihn vergessen lassen, dass es seines Erachtens nach Gründe gab, ihr mit Erbitterung zu begegnen. Bündig und zugleich umfassend hatte sie ihm leise den Befund referiert, darauf achtend, dass er – und nur er – sie verstand. Sogar von ihren vergeblichen Versuchen, das Kind zu wenden, dessen hochgerade Schädellage eine natürliche Geburt unmöglich machte, berichtete sie. Und er gab zu, dass dies aufgrund der Größe des Kindes nicht hatte gelingen können. Die Hebamme hatte richtig gehandelt, vor allem darin, dass sie nach ihm schickte.
    Und nun war eingetreten, was sie befürchtet hatte.
    Kaum ein Tropfen war nach außen gedrungen, das Blut suchte sich einen anderen Weg. Der Professor musste es ebenso wie die Gottschalkin aufgeben, den pulsierenden Blutfluss mit der Hand im Innern der Frau zu stillen. Auch wenn das Opium ihr Leiden linderte, so war jedwede Traktion nur eine Verzögerung dessen, was sie erwarten mussten.
    Als Büttner verstand, dass die schützende Hülle des Kindes zerrissen war und der Leib seiner Frau sich mit Blut zu füllen begann, dass es nichts gab, was es aufhalten konnte, war er es, der schrie.
    Kilian, unter dessen Fingern sich Agnes’ fliegender Puls befand, hätte ihn anherrschen mögen, dass er die Furcht dieses armen Weibes, das an den Folgen einer Uterusruptur zu sterben begann, mit seinem unsinnigen Toben nur schlimmer machte. Das Verhalten des Mannes war Kilian unerträglich.
     
    Elgin sah, wie Agnes die Lippen bewegte. »Willst du mir jetzt ein Bild geben.

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