Die Hebamme
Irgendeines«, flüsterte sie. Niemand konnte ahnen, dass es ein hinterhältig einsetzender Schmerz war, der Elgin vor der Kommode aufhielt. Der den Bogen mit dem Kupferstich in ihrer Hand zittern ließ, bis es ihr gelang, zurück zum Bett zu gehen.
»Es war schön, dass ich dich und deine Bilder hatte, Büttner«, sagte Agnes zu ihm, der angstvoll ihrem Wunsch nachkam, still zu sein und sie lieber zu küssen. »Aber nun kann ich unser Kind … nun kann ich es gar nicht sehen.«
Es kostete Agnes Kraft, den Kopf zu wenden, als Kilian sich räusperte, doch sie schaffte es. Unter ihren roten Haaren knisterte das Blatt mit dem Bildnis eines fremden Ungeborenen. Es war nicht genau auszumachen, wen von ihnen sie mit ihren matten Augen ansah. Vielleicht meinte sie beide, Elgin und Kilian, als sie fragte: »Muss es mit mir sterben?«
Kilian räusperte sich wieder.
»Es muss nicht sein«, sagte er. »Wir könnten es möglicherweise retten …«
Ein Zittern durchlief Agnes’ Körper.
»Es besteht Hoffnung, dass dein Kind leben kann«, sagte Elgin, und niemand musste sich wundern, dass ihre sonst so ruhige Stimme gepresst klang. Dass sie so atemlos zu dieser Frau sprach, die sie schon nicht mehr hörte.
Kilian an ihrer Seite meinte die Verzweiflung der Gottschalkin zu ahnen.
»Es ist eine vage Chance«, sagte er zu Büttner, der sich aufrichtete und aussah, als hasste er jeden von jetzt an.
»Es wird Ihnen grausam erscheinen, wie ich als Arzt nun gezwungen bin, zu Ihnen zu sprechen. Doch ich – wir alle hier – konnten hören, was Ihre Frau sich sehnlichst wünscht. Sie ist dem Tode sehr nahe, sie wird nichts von dem Eingriff verspüren, der für Ihr Kind das Leben bedeuten kann.«
»Wovon in Gottes Namen reden Sie«, flüsterte Büttner. »Warum reden Sie nur und reden? Ist das die ganze Kunst eines Arztes?«
Kilian zögerte. Er wusste nur zu gut, wie dünn das Eis war, auf dem er sich jetzt bewegte, und umso überraschender ergab es sich, dass die Gottschalkin das Wort ergriff.
»Ein Kaiserschnitt, wenn er schnell durchgeführt wird, könnte das Kind retten«, hörte er sie sagen, während er Büttner im Auge behielt. »Und auch, wenn Agnes es uns nicht mehr sagen kann, so hätte sie …«
Büttner stand vollkommen starr. Der Professor empfand höchste Unruhe, weil kostbare Zeit verrann. Aus den Augenwinkeln sah Kilian die Gottschalkin sich zu der sterbenden Frau beugen, sie berühren – die Lebenszeichen des Kindes erkunden. Büttner ertrug es nicht – sie hätte das wissen müssen.
Als er sich abwandte, zur Kommode stürzte und die Bilder hinunterfegte, an denen seine Frau offenbar ihre Vorfreude auf das Kind genährt hatte, als er herumfuhr und die Gottschalkin ihm entgegenblickte, gab es keinen Zweifel mehr daran, auf wen sich sein Hass richten sollte.
Man konnte in dieser schwarzen Stunde kaum etwas als eine glückliche Fügung bezeichnen, außer das Eintriffen des Geistlichen, fand Kilian, zumal es sich um den Obersten Pfarrer der Lutherischen Gemeinde, Siebert, handelte. Er war es, der sofort eine Entscheidung traf. Ihm hörte Büttner tränenblind zu, als er erklärte, dass sich vor Gott schuldig machte, wer ein mögliches Leben nicht rettete. Die Kirche könne es nicht zulassen, eine Mutter zum Grab ihres ungetauften Kindes zu machen.
Die Gebete des Geistlichen begleiteten Agnes Büttner in einen stillen Tod, denn Siebert bestand darauf, diesen abzuwarten. Er ließ Kerzen entzünden, während sie dank des Opiums wie im Schlaf aus dem Leben glitt.
Der Professor, verdeckt durch den Vorhang des Bettes, legte seine Instrumente auf einem Leintuch zurecht, das die Gottschalkin für ihn ausgebreitet hatte, noch bevor Büttner aus dem Zimmer gestürzt war. Beinahe hatte er die Hebamme umgestoßen. Sie war ihm gefolgt und schnell zurückgekehrt, leichenblass, für einen Moment wie gebrochen. Mit großer Beherrschung, fand Kilian, wandte sie sich ihm zu.
»Bitte weisen Sie mich an«, sagte sie. Ihre Lippen blieben seltsam bewegungslos, während sie sprach, und darüber schimmerte Schweiß. »Ich denke, Sie benötigen meine Assistenz.«
Kilian sah zu dem Obersten Pfarrer hinüber, der Agnes segnete und ihr Gesicht bedeckte. Dann gab der Geistliche mit einem Nicken seine Zustimmung zur sectio in mortua .
Während Kilian die konvexe Klinge des Operationsmessers vier Zoll an der Weißen Linie entlang über den gewölbten Bauch führte und mit einem Zug die Häute durchschnitt, fing Elgin das aus
Weitere Kostenlose Bücher