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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cantz Kerstin
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hatte sie gern dafür, es stimmte ihn zuweilen ohne jede Herablassung zärtlich. Nur deshalb tat er Nutzlosigkeiten, wie ihre Schokolade zu trinken, aus der er die Ambra herausriechen konnte. In der Brandung ihrer zaghaften Begierde blieb er reglos wie ein getöteter Fisch.
    Therese hatte es aufgegeben, ihm ihren Körper erwartungsvoll darzubieten. Und der seine erwachte zu heimlichem Leben, wenn er sich nach Elgin sehnte. Das Bett verließ Lambert in den bitteren Nächten erst, wenn Therese sich in den Schlaf geweint hatte – so lange zwang er sich, bei ihr zu bleiben. Manchmal streichelte er ihren Nacken, bis sie heute zum ersten Mal seine Hand wegstieß.
    In den einsamen Stunden, die Lambert inmitten der Vermächtnisse seines Vaters zubrachte, hatte er mit der Solanum dulcamara , dem Nachtschatten, enge Freundschaft geschlossen.
    In den Niederschriften des alten Fessler hatte er nachgelesen, dass seine betäubende Wirkung in Westgermanien zur Vertreibung nächtlicher Dämonen bekannt gewesen war. Die Pflanze mit ihren dunkelvioletten Blüten konnte nur von kundigen Sammlern in Ufergebüschen und Auwäldern geerntet werden. Ihre Verabreichung gegen Beschwerden wie Gicht und Krampfhusten bedurfte der umsichtigen Rezeptur. Mit dem Nachtschatten hatte Lambert eine dunkle Lust am Experiment erfasst. Bald fand er, dass ihm der Pflanzensaft die schönsten und wahrhaftigsten aller Eingebungen bescherte, die er je in Gedichten an Elgin verfasst hatte.
     
    Die Luft ging durch die Nacht
Trug meine Liebe durch die Stille
Die fliegen wollte (was ihr misslang)
Dein schlafendes Herz zu wecken
     
    Und wenn sie nur in ihrem Ofen verbrannten, tröstete Lambert sich, nachtschattenhaft weich gestimmt, dann entfachten seine Worte eben auf diese Weise ein Feuer in ihrer Nähe.

    Wenn du wüsstest, dachte Elgin, während sie ihre Tasche überprüfte und Marthes Blicke im Rücken spürte. Wenn du wüsstest, dass ausgerechnet ich keine Anzeichen bemerkt haben wollte. Wie sehr es mir zupass kam, dass ich mich selbst kaum je betrachtete. Immer hatte mein Körper mir gehorcht, zumindest bis Lambert ihn zu seinem Verbündeten machte. Als das Blut kam, du weißt schon, Marthe, da glaubte ich keine Zweifel mehr haben zu müssen, und dass ich ihm keine Aufmerksamkeit mehr schenken musste.
    Wenn du wüsstest, gute, treue Marthe, dass ich mir nicht einmal etwas weismachte, sondern keine Wahrnehmung zuließ, die in eine so abwegige Richtung führte. Nicht einmal ich selbst weiß, warum ich mich betrogen habe. Gerade denke ich, Marthe, dass ich eigentlich sehr wenig von mir weiß.
    Ungeheuerlich, wie sehr ich daran gescheitert bin, Lambert von mir fern zu halten. Ob dies die erste der Lügen war? Nein. Ich liebe ihn nicht. Noch nie, noch immer nicht. Keine Sehnsucht. Ich entbehre nichts. Und wenn nun, Marthe, dies alles längst nicht mehr wahr ist, was ich über mich befinde? Sollte dies mein Wunsch sein, einen Menschen in mein Leben zu lassen? In mein Leben ein anderes.
    Es ist schon da.
    Elgin folgte der alten Magd, die ihr in den Mantel geholfen hatte, und unten, am Fuß der Treppe, stand Eugen Schricker, der Töpfermeister. In seinen großen Händen drehte er den breitkrempigen Hut, von dem er vorher den Schnee abgeschlagen hatte. Seine Frau, sagte er, schrie schon jetzt das ganze Haus zusammen, das er daraufhin eilig verlassen hatte, um die Hebamme zu holen. Es verhielte sich so, dass Marietta von plötzlicher wilder Furcht besessen war. Nachdem sie der Niederkunft in wachsender Ungeduld entgegengefühlt hatte, sich selbst belauschend, war sie, als die Wehen einsetzten, in heftiges Weinen ausgebrochen und hatte verkündet, dass sie nichts von dem, was sie nun unweigerlich erwartete, durchstehen würde. Und, nun ja, murmelte der Mann, als er hinausging, es waren wohl eher die unguten Dinge als die guten, die Weiber in ihren Nöten beschrien.
    Er nahm Elgin die Tasche ab und verstaute sie in seinem Einspänner, während das Pferd Wolken in den Nachthimmel schnaubte. Bevor Elgin seine Hand ergriff, um sich auf den Wagen helfen zu lassen, meinte sie hinten zwischen den Häusern im Schneegestöber jemanden stehen zu sehen.
    Sie fragte den Töpfer nach Lene, als sich das Fuhrwerk in Bewegung setzte. Schricker gab dem Pferd die Peitsche und sagte, dass die Magd, diese undankbare Person, sich vor Tagen schon ohne ein Wort davongemacht hatte. Vom Erdboden verschluckt, sagte Schricker, oder wie man das nun wieder nennen wollte.

    Heute, wenn ich

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