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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cantz Kerstin
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sich die Person, deren Leichnam ihnen lehrreiche Auskunft geben sollte, nach der Geburt wohl befunden und ihr Kind gesäugt. Am Abend des elften begann sie sowohl über Frost als auch Hitze zu klagen. Ihr Gesicht blieb bei dem Anfall der Krankheit totenblass, wobei die Hände sich sehr erhitzten. Die Zunge wurde zunehmend weiß und trocken, die Milch verlor sich, und die Person entwickelte großen Durst. Über der Scham quälte sie ein Schmerz, der beim Befühlen zum Weinen heftig wurde. Ihrer aufgeschwollenen linken Seite legte man warme, erweichende Umschläge auf, sie erhielt Klistiere und daneben eine Mixtur aus Kampfer und Chinarinde. Alles, was die Person daraufhin von sich gab, roch faulig, und es zog die Klagen der anderen Frauen nach sich. Mit wiederholten Räucherungen trat man hinter der geschlossenen Kammertür den tödlichen Ausatmungen entgegen, damit diese bei ihnen keine Entzündungen hervorriefen.
    Dies war das Befinden und Verfahren bis zum Vorabend des vergangenen Tages, an welchem die Lippen und Nägel sich blau verfärbten, sodass die Person bereits einer Sterbenden glich. Zur Nacht plötzlich verlangte sie nach einer Suppe, die man ihr zu essen gab. Sie sagte, nun habe sie keine Schmerzen mehr.
     
    Der Professor sah auf, als die Schülerin Langwasser das Tuch auffing, welches vom kahl geschorenen Kopf der Toten rutschte. Und während er weitersprach, bedeckte Gesa das Gesicht. Sie zog das Tuch über die blauen Lippen, mit denen die Frau heiße Brühe vom Löffel geschlürft hatte, in einer ermutigenden Gier. Clemens hatte sie indessen ein letztes Mal zur Ader gelassen und das Blut, das an ihrem ausgestreckten Arm entlang in die Schüssel lief, mit deutlicher Sorge betrachtet.
    Bevor sich die Augen der Frau für immer schlossen, waren sie unruhig zwischen ihr und Clemens hin und her gewandert. Gesa war es vorgekommen, als stellten sie eine Frage – eine, die sie selbst sich verbot. Nie näherte er sich ihr. Es gab kein vertrauliches Wort zwischen ihnen, er verstand es, auch die zufälligste Berührung zu vermeiden. Manchmal meinte sie, er streichelte sie mit seinen Blicken, doch wenn sie aufsah, glaubte sie zu wissen, dass sie sich täuschte. Niemand sollte eine Ahnung haben, nicht einmal sie.
    Dass sie noch bei klarem Verstand gewesen war, die Person, hörte Gesa den Professor jetzt sagen, dass sie noch Hoffnung über ihr Aufkommen hegte – bis zum letzten Augenblick ihres Lebens, welches nachts, in der Wende zum neuen Tag, geendet hatte.
    In der Kellerkälte, als sie allein mit der Frau gewesen war und sie wusch, hatte Gesa sie wie einen Schmetterling aus einer schwarzen Blüte kriechen sehen und es ihrer Erschöpfung zugeschrieben.
     
    Was nun auf dem Seziertisch den Beweis erbrachte, woran die Person zugrunde gegangen war, sollten alle Anwesenden im Leib der Toten betrachten. Während abwechselnd mit einem Haken die Öffnung der Bauchdecke fixiert wurde, wünschte der Professor, dass die Studenten jene Organe, die von der Entzündung befallen und von blassgelber Flüssigkeit umgeben waren, einzeln benannten. Erst dann sollten sich einige Fortgeschrittene in der Präparation des Uterus und der Muttertrompeten üben. Die zwei neuen Hebammenschülerinnen musste Kilian wegen ihres ebenso offensichtlichen wie törichten Ekels wiederholt ermahnen, dem Geschehen besonders aufmerksam zu folgen.
    Ein Getöse von Holzschuhen auf der Treppe und das darauf folgende Klopfen an der Kellertür setzte dem anatomischen Unterricht ein vorläufiges Ende. Den in die Sektion vertieften Herren und ihrem Lehrer entging, dass Paulis Gesicht zwar kaum mehr von Pusteln, so doch von Rotz und Heulerei verwüstet war. Es gab Nachricht von einer überstürzt einsetzenden Niederkunft oben im Haus.
    Es lohnte sich kaum mehr, die Ärmel von Hemden und Gehröcken herunterzukrempeln, und vom Säubern der Hände unter der Verwendung von Chlorkalk, wie englische Kollegen dies vereinzelt empfahlen, sah Professor Kilian ab. Er hielt diese Vorschläge ohnehin für Schrullen, die aus konfusen Theorien über Ansteckungsstoffe entstanden. Noch im Gehen, auf dem Weg ins Auditorium, schloss er seine Ausführungen über jenes tödliche Fieber ab, das sich in der Luft übertrug und für das allein die Körper kürzlich entbundener Weiber empfänglich waren.
    Erst dann fiel es ihm wieder ein, nach Frau Textor zu fragen, es ärgerte ihn, dass er den Kollegen Heuser ohne ihre Unterstützung antraf.
    »Ich bring sie um, wenn sie kommt«,

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