Die Hebamme
musste, dass sich dieser nicht beim Gehen oder wenn sie sich bückte, mit dem Gewicht einer zwar kleinen, aber doch gefüllten Flasche gegen den schweren Schlüsselbund schwang.
Viele Nächte verbrachte die Haushebamme unten am Herdfeuer in der Küche. Dort war es warm im Gegensatz zu ihrer klammen, ofenlosen Kammer, und zudem war die Langwasser bei jedem Laut sofort auf dem Sprung. Sie spurte seit ihrer Rückkehr, das schon, doch an ihrer Arglosigkeit, fand Anna Textor, musste man nach wie vor Zweifel haben.
Sie hatte so eine Art sich anzuschleichen, wie in der vergangenen Nacht, als sie in die Küche kam. Angeblich um auf Geheiß des Doktor Heuser noch einen Teller Gemüsebrühe für die Wöchnerin mit dem hitzigen Fieber zu holen. Anna Textors alte Knochen waren geschmiert von der Medizin, sie konnte so schnell sein, wie sie wollte, und geschickt, wenn ihr daran lag. Sie tat, als bückte sie sich nach einem der letzten Holzscheite, stellte die Flasche ab, kam wieder hoch und riss den Topf auf das Feuer, während sie die Flasche mit dem Fuß in die Maueröffnung hinter das Holz stieß.
Später dann, derweil oben das Weib am Fieber verreckte, lag Anna Textor auf den Knien, hantierte mit dem langen Stiel einer Räucherpfanne und fand das Glück.
Noch später, während der Blödkopf dem Doktor half, die Tote in einem Laken zum Keller hinabzutragen, schickte die Haushebamme eine der Schülerinnen, neues Holz unter dem Herdfeuer zu schichten. Zudem war nun die Leiche zu waschen und vorzubereiten, der Tag begann mit allem, was er an Arbeit mit sich brachte. Man entschied, das Kind der Toten rasch loszuwerden. Anna Textor sollte die Waise zu seinen nächsten Verwandten bringen.
Ein eisiger Wind kam von den verschneiten Hügeln vor der Stadt, pfiff zwischen den Hütten hindurch und zerrte am Schultertuch der alten Hebamme. Sie leckte sich die trockenen Lippen, und einen gierigen Moment lang dachte sie daran, sie könnte das mucksmäuschenstille Kind auch später abgeben.
Der Gestank in der Hütte mit dem eingesunkenen Dach ähnelte dem in den Schwangerenkammern des Gebärhauses, doch dergleichen hatte Anna Textor noch nie gestört. Sie störten nur die Fragen der hohlwangigen Weibsperson, an deren Röcken eine unübersichtliche Zahl von Kindern hing. Eilig drückte sie ihr das Bündel in die Arme. Es war ihr inzwischen steinschwer geworden. Was sollte schon sein mit der Mutter des Balgs, der Schwester dieser Frau? Ein kostenloses Begräbnis würde sie kriegen, wenn die Doktoren mit ihr fertig waren. Das Geld brannte Anna Textor unter der Schürze. Bloß weg von diesen jämmerlichen Gestalten, die sich am qualmenden Herdfeuer zusammendrängten.
Wieder fielen Schneeflocken vom eisgrauen Himmel, sie flogen ihr in Mund und Nase, als Anna Textor weiterlief.
Endlich war sie da, wo sie hinwollte. Und wie es hier roch, das mochte sie wirklich. Der Branntwein würde gleich auch in ihrem Atem sein, und nach einer gewissen Menge davon würde es ihr den Schweiß aus den Poren treiben. Wenn sie ein Teil dieses rüden Haufens geworden war, der an den dreckigen Tischen soff. Noch kannte sie niemanden, noch sah sie keinen von denen genau, dafür war sie zu durstig. Nicht mal den Riesen sah sie.
Das Tageslicht war für eine Lehrsektion unentbehrlich. Der Winter eignete sich bestens für die anatomische Arbeit, jedoch bestand die angeratene Zeit des Tages in jenen Stunden, in welchen man ohne brennendes Licht auskam. Es war ein recht günstiges diffuses Morgenlicht, das durch die Fenster des Sezierkellers auf den bleichen Körper fiel, als Professor Kilian mit einem gleich bleibend leichten Druck des Skalpells den Bauchraum der Toten öffnete.
Die anwesenden Hebammenschülerinnen und sehr wohl auch einige der Herren Studenten traten vor dem abscheulichen Geruch zurück, der dem geöffneten Leib entwich, bis der strenge Blick ihres Lehrers sie wieder in die gebotene Nähe an den Seziertisch holte. Während Professor Kilian die Bauchorgane freilegte, referierte er die Krankengeschichte der Frau. Ein Schrei, der zu ihnen nach unten drang, ließ den Gelehrten kaum innehalten. Sofern ein fliegender Wechsel vom Sektionstisch zum Geburtsbett nötig wäre, würde Doktor Heuser ihn umgehend in Kenntnis setzen. Nur flüchtig zog das Ärgernis über den ungeklärten Verbleib der Haushebamme in Kilian auf, dann widmete er sich wieder dem Unterricht, der den rätselhaften Ursachen des hitzigen Kindbettfiebers gewidmet war.
Zehn Tage hatte
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