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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cantz Kerstin
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hinter ihrer strengen Liebe versteckt gehalten.
    Angst lässt dich Fehler machen.
    Eine so lange Zeit, dachte Gesa. Das Einzige, was ich sicher über mich wusste, war – dass ich sein will, was Bele mich gelehrt hat.
     
    Sie fuhr herum, als er gegen ihr im dunklen Gras liegendes Schuhwerk lief.
    »Woher konnten Sie wissen, dass ich zurückkommen würde?«, fragte sie, noch bevor er auch nur ihren Namen ausgesprochen hatte.
    »Ich wusste es nicht«, sagte er, »aber ich bin glücklich, dass du es getan hast. Wenn du nicht gekommen wärest, hätte ich dich geholt.«
    Nichts wollte sie weniger, als dass Clemens sie jetzt, wo die Wut ihr zu Hilfe kam, mit verstörender Zärtlichkeit behelligte.
    »Inzwischen haben Sie also schon meinen Unterricht bezahlt«, sagte Gesa, und sie lief ein paar Schritte über die kalte Wiese, bis zum Baumstamm und wieder zurück zu den Zweigen am Ufer. »Verzeihen Sie, dass ich Ihnen dafür nicht danken kann. Es schien Sie nicht zu kümmern, ob ich das wollte, und es war wohl dazu noch freundlich gemeint. Ich benötige es nicht. Mein Vater hat mir etwas hinterlassen, womit ich für mich aufkommen kann.« Sie lauschte ihren eigenen Worten nach. Wie selbstverständlich ihr diese über die Lippen gekommen waren.
    »Ich hatte schon manchmal befürchtet«, sagte Clemens, »dass du mein Schreiben missverstehen könntest. Ich hielt es für klüger, mich darin auf die Sache zu beschränken. Der Brief sollte dir auch bei deinen Leuten im Dorf helfen …«
    »Was für ein Brief?«
    »Professor Kilian, Gesa, war durchaus damit einverstanden, dass ich dir schrieb.«
    Er wollte näher kommen und blieb stehen, als er bemerkte, dass sie zurückwich. Was ist das plötzlich für eine seltsame Sache mit den Briefen?, dachte Gesa, während Clemens unbeirrt weiterredete.
    »… das Wichtigste wäre, dachte ich, dir so schnell wie möglich Nachricht zu geben, dass wir dich wieder aufnehmen werden.«
    Es ist einfach, um etwas zu bitten, wenn man die Antwort kennt, höhnte Kilian in ihrem Kopf. Man hatte ihr mitgeteilt. Man hatte sie wissen lassen.
    »Und meine Entscheidung gilt nichts«, sagte sie laut. »Ich bin hier, weil ich hier sein will.« Sie fegte die hängenden Zweige der Trauerweide zur Seite, trat unter ihnen hervor, blieb abrupt und maßvoll entfernt vor ihm stehen. »Das scheinen selbst Sie nicht von mir glauben zu können.«
    Sie war entschlossen, sich abzuwenden und ein weiteres, erklärendes Wort von ihm – sie hätte es wohl getan. Doch er sagte nichts. Ein schwacher Rest des Lichts aus der Dachkammer fiel auf sie beide hinab.
    Es wunderte sie nicht, wie weich seine Lippen waren. Er gab einen erstickten Laut von sich, der fast ein wenig verzweifelt klang.
    »Was willst du?«, fragte sie.
    »Dich lieben. Und dass du mich auch lieben könntest.«
    »Dies scheint mir eine Menge zu sein«, sagte sie, und jetzt gelang es ihr, sich von ihm zurückzuziehen »aber wenn ich meine Prüfung bestanden habe, werde ich noch einmal fragen.«
    Die Röcke flogen in schnellem Takt um die Knöchel, während sie auf das Haus zulief und das Herz ihr bis zum Hals schlug.
    »Schülerin Langwasser?« Es war ein Leichtes für ihn, sie einzuholen. »Ihre Schuhe«, sagte er. »Damit läuft es sich besser in großen Schritten.«

    Zum Ausgang des Jahrhunderts hatte Napoleon mit einem nachlässig geplanten Staatsstreich die Französische Revolution beendet. Der erste Mond des darauf anbrechenden Jahres 1800 bescherte zwei Herren in Marburg bescheidenere Siege. Und doch, es waren Siege.
    Das Votum des Landgrafen hatte den Geheimen Rat Friedrich Homberg zum Bürgermeister gemacht und ihn des Weiteren an die Spitze der Polizeikommission empfohlen. Man folgte damit einer alten landesherrlichen Vorliebe, die höchsten Ämter der Stadt mit einem Juristen zu besetzen.
    Gleichsam als landgräfliches Geschenk zur Jahrhundertwende erreichte Professor Anselm Kilian ein Schreiben der fürstlichhessischen Regierung. Man hatte sich schließlich – und nach Einsicht in die ebenso akribischen, wenngleich im Umfang mageren Protokolle aus dem Gebärhaus – dem Argument geöffnet, dass es für die Lehre dringend vonnöten war, dem Institut mehr Geburtsfälle zu verschaffen.
    Jene ehelos schwangeren Weibspersonen, die sich zur Niederkunft in das Accouchierhaus begaben, beschied der Landesherr, sollten fortan von allen Fornikationsstrafen befreit und auch von der Kirchenbuße verschont werden. Jedoch hätten sie sich zunächst gänzlich

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