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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cantz Kerstin
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zur Last. Glaub mir, wenn die Kinder kommen, kettet sich sein Herz von ganz allein an das deine, und jedes Kind bindet euch fester.«
    Der unschuldigen Seele tat es gut, eine Verschworene an der Seite zu haben, das war ihr anzumerken. Sie war nahezu fröhlich gewesen und aufgekratzt, als sie sich in die Küche begab, mit den Zutaten für die Schokolade der Betrübten. Hoffnungsvoll ließ Caroline ihre Schwiegertochter zurück, während diese in einem kupfernen Topf Schokolade in Wasser auflöste und unter ständigem Rühren eindicken ließ. Zuvor hatte sie ihr erklärt, wie sie die zwei Stücke Ambra zerkleinern musste und in welchem Verhältnis mit Zucker vermischen, bevor sie es unter die Schokolade und diese in zwei Becher geben sollte.
    Sie selbst wusste nicht, was man von der Wirkung dieses Tranks, der eine gewisse Zügellosigkeit anregen sollte, erwarten durfte. Und obwohl Caroline noch nicht bereit war, sich wirklich Sorgen zu machen, zog sie ein stilles Gebet in Erwägung.
    »Woran denken Sie nur, Verehrteste?«, hörte sie den Professor fragen, und sie lächelte, als sie bemerkte, mit welchem Wohlgefallen sein Blick auf ihr ruhte.
    »Oh«, sagte sie, »man mag mich der Eitelkeit bezichtigen, aber ich fragte mich gerade, ob es mich zu einer anderen macht, wenn ich Großmutter werde. Doch bevor mich dieser Gedanke ängstigen kann – wollen Sie mir die Freude tun und mich Caroline nennen?«

    Aus dem Dachfenster fiel Licht über den alten Baum, der sich dem Wasser zuneigte. Unter Gesas nackten Füßen war das Gras feucht und kühl. Sie griff in die hängenden Weidenzweige, ließ sie durch ihre Finger laufen, streifte die länglichen Blätter ab, zerrieb sie, bis sie zu Boden fielen.
    Das Haus war schon verschlossen für die Nacht, sie würde den Klingelzug betätigen müssen, und Frau Textor würde ihr die Tür öffnen. Gesa klang schon die Häme in den Ohren und die Grobheit ihrer Fragen. Halbherzig erwog sie, über den Hof zu schleichen, hinter dem Hühnerstall an die Kellerfenster zu klopfen, um Pauli in seinem Verschlag beim Brennholz aufzustöbern. Doch der Hahn war nicht zu unterschätzen – der dumme Vogel gefiel sich zuweilen in der Rolle des Hofwächters. Und wenn die Textor wieder damit begonnen hatte, ihren Lieblingsplatz im Lehnstuhl vor dem Herdfeuer einzunehmen – womit zu rechnen war, jetzt, da es kalt wurde -, dann würde alles nur noch verfänglicher werden.
    Gesa hörte zu, wie der Wind den Fluss sacht gegen das Ufer bewegte, und dachte an Pauli, der sich gefreut hatte, sie wieder zu sehen. Um seine Medizin hatte sich in ihrer Abwesenheit wohl niemand gekümmert; er war verlegen geworden, als er ihren Blick bemerkte, und seine verdreckten Finger waren hinaufgeschnellt zu den Pusteln. Gesa hatte seine Hand abgefangen und festgehalten, selbst Halt suchend bei dem Jungen, bevor sie nach dem Professor fragte.
    Sie ließ ihm ihr Bündel da, das größer war als bei ihrer ersten Ankunft im Haus Am Grün – damals, als sie noch Beles Schatten war.
    Noch immer verwirrte sie, wie leicht es ihr gefallen war, Haus und Dorf den Rücken zu kehren. Der Aufbruch hatte an Beles Grab begonnen, auf dem im Sommer schon wilder Klee gewachsen war. Von keinem der Fuhrwerke, die neben ihr die Fahrt verlangsamten, wollte sich Gesa mitnehmen lassen. Weil sie laufen wollte, nur laufen und laufen, während sie darüber nachdachte, ob sie Bele etwas zu verzeihen hatte.
    Was vor vielen Jahren geschehen sein musste, fügte sie auf ihrem Fußmarsch zusammen – aus den Bruchstücken von Tante Beles Rede und aus den wenigen Worten ihres Vaters. Vom Vater, dessen Brief sie bei sich trug, hatte Gesa eine Ahnung bekommen und ihn gleich wieder verloren. Sie konnte nicht ermessen, ob ihr Leben ein anderes geworden wäre – sie selbst ein anderer Mensch, wenn Bele sie hätte von Kaspar Langwasser in Amerika wissen lassen. Gesa, das Kind, hätte von ihm träumen können, darauf hoffen, dass er ein großer Abenteurer war, der irgendwann kommen und sie holen würde.
    Wenn jemals auf dem Brief mit den vielen Vermerken von Städten, Schiffen und Kapitänen auch ein Absender zu lesen gewesen war, so hatte doch Bele wohl nie an Kaspar geschrieben, um ihn vom Tod seiner Frau und vom Dasein eines Kindes in Kenntnis zu setzen. Bele hatte seine Silberdollars mit Marie begraben, für das Kind Gesa einen toten Mann aus ihm gemacht. Und doch ließ sie ihn nicht ganz sterben, sondern nur in einer Truhe verschwinden. Beles Angst hatte sich

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