Die Hebamme
gefügig zu zeigen. Käme es einer unehelich geschwängerten Person in den Sinn, sich im Institut zwar zu melden, am ihr bestimmten Zeitpunkt sich jedoch nicht einzufinden – wenn sie ihr Wochenbett, unter welchem Vorwand auch immer, außerhalb des Instituts halten sollte -, so würde sie alle erwähnten Vorteile verlieren.
Ob nun der harte Winter dafür verantwortlich war oder die Vermutung Kilians zutraf, dass sich unter den bedürftigen Frauen in Windeseile herumgesprochen hatte, wie einfach sie von nun an der Geldbuße von dreißig Talern oder einer Gefängnisstrafe entgehen konnten, war ungewiss – die Zimmer des Gebärhauses jedenfalls füllten sich langsam und stetig. In einer Weise, wie er es vorausgesehen hatte.
Die Kirchenältesten Marburgs pochten auf die Einrichtung eines Gebetszimmers im Accouchierhaus, wo die Geschwängerten wegen ihres leichtfertigen Umgangs Buße tun und ihre Kinder taufen lassen konnten. Man arrangierte sich mit der Bewandtnis, dass die liederlichen Personen aus den Dörfern kamen und die Stadt nach der Niederkunft wieder verließen.
Zwölf
EISMOND
Seit dem Morgen trieb Schnee vom Himmel nieder und deckte die Stadt zu. Am Tag waren in der Hofstatt die Schreie spielender Kinder zu hören gewesen, die sich damit bewarfen. Jetzt schluckte er jedes Geräusch.
Unvorstellbar, dass die Arbeit an ihrem Buch ihr zur Beschwernis werden konnte.
Schwangerschaft nennt man den Zustand eines Weibes, welches einen befruchteten Keim im Schoße trägt. Nach der natürlichen und gewöhnlichen Ordnung findet die Empfängnis im Uterus statt. Niedergelegt in die Höhle dieses Organs findet der belebte Keim ein durchaus vorgerichtetes Lager, und mit der ihm gegebenen äußeren Hülle schmiegt er sich an die innere Fläche des Uterus.
Sie hatte noch zahlreiche Versuche unternommen, zu Büttner vorzudringen, in Tagen und Wochen – doch er empfing sie nicht. Sein Haus kam ihr bald vor wie eine Festung, der seltsamerweise Caroline Fessler vorzustehen schien. Und merkwürdig, dass diese nie gefragt hatte – sofern sie einander begegneten -, warum Elgin die Apotheke nicht mehr aufsuchte. Ihr Fortbleiben erregte weder Misstrauen noch Neugier bei der umtriebigen Madame. Sie musste sehr zufrieden sein, nur so konnte Elgin sich ihre Zurückhaltung erklären.
Ungewöhnlich lange hatte Elgin in den letzten zwei Monden des vergangenen Jahres mit Empfindungen zu kämpfen gehabt. Mit dem Tod Agnes Büttners war ihr Gemüt in Finsternis gefallen, während man in den Häusern der Oberstadt von der Frau des Kupferstechers schon bald kaum mehr sprach.
Dafür hielt sich beharrlich die Rede von der wundersamen Rettung des Kindes. Der gebotene Respekt galt der Kunst des Accoucheurs, des Gelehrten, der das Kind aus dem Tod geborgen hatte. Man setzte einander von der hoffnungsvollen Entwicklung des kleinen Knaben in Kenntnis, an der Professor Kilian bedeutenden Anteil hatte.
Tatsächlich – dies beschämte Elgin maßlos – hatte sie begonnen, sich selbst zu betrügen von dem Tag an, als Agnes von der Welt gegangen war.
Sie sollte aufstehen, ein wenig herumgehen, den schmerzenden Rücken dehnen. Sie wollte ihm keine Beachtung schenken.
Der Embryo bei zehn Tagen erscheint als gräuliches, halb durchsichtiges Flöckchen, welches schnell zerschmilzt und dessen Form nicht angegeben werden kann. Sein ungefähres Gewicht ist ein Gran.
Lambert faltete den Brief und versah ihn mit einem Siegel. Es würde wohl ungebrochen bleiben, wie die anderen auch. Marthe, die unverdrossen die Fesslersche Apotheke aufsuchte, informierte ihn jeweils mit einem Kopfschütteln. Elgin las seine Briefe nicht.
Es war erniedrigend, seine Mutter von ihr reden zu hören – es diente stets nur als Einleitung, das Hohelied auf den Professor zu singen. Es war erniedrigend zu schweigen. Seinen Vater hatte er für schwach gehalten oder gleichgültig, wenn er Carolines Redefluss auf diese Weise begegnet war. Lambert schwieg, wenn es um Elgin ging, und fühlte sich wie ein Verräter.
Therese verriet er auch.
Im väterlichen Studierzimmer, das längst zu seinem geworden war, bestürmte ihn das schlechte Gewissen, quälte ihn sinnloses Mitleid, und für sich hatte er bald kaum etwas anderes übrig als Verachtung.
Elgins entsagungsvolles Versprechen zum Abschied blieb ihm unvergessen und belegte ihn mit einem Bann. Mit wie vielen leidenschaftslosen Küssen hatte er Therese beleidigt und sie mit seinem Bemühen gekränkt. Das ihre war rührend, er
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