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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cantz Kerstin
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sich die Textor jetzt in den Armen eines sehr großen Menschen, der sie aus dem Schnee hob wie ein Kind. Wie er sie mühelos in den Karren verfrachtete, geradezu sanft, das würde Pauli für sich behalten. Er wartete, bis der Karren und das schaukelnde gelbe Licht im Schneegestöber nicht mehr zu sehen waren, dann machte er sich in die andere Richtung davon.
    Nichts von dem, was er gesehen hatte, würde er erzählen. Wer tot ist, kommt nicht wieder, sagten die Leute. Und im Haus Am Grün hörte man davon auf anderem Wege.

    Es war Konrad zuweilen von Nutzen, mit dem Aufwärter der Marburger Anatomie besser bekannt zu sein. Wie alle, deren Geschäft der Tod war, gehörte der Alte nicht eben zu den Leuten in der Stadt, deren Gesellschaft man suchte. Schon während er noch Totengräber gewesen war, hatte der Mann das bitter erfahren müssen, und es war so geblieben. Gerade während der dunklen Wintertage, da Konrad öfter was abzuliefern hatte, fand der Anatomiediener mitunter Gefallen daran, sich einem lebenden Menschen mitzuteilen als immer nur den Kadavern, die er bewachen und ins Auditorium schleppen musste.
    Daher ließ der Mann, der im Akademiegebäude an der Ketzerbach hauste, Konrad manchmal bei sich auf einem Strohsack schlafen, wenn dieser spät in der Nacht eine Lieferung brachte. Für Frieder war dort, zwischen den schimmligen Wänden der Anatomiediener-Kammer, kein Platz. Aber wo er sich ausstrecken konnte, da konnte Frieder schlafen – kaum dass er lag – wie tot.
    Eines Morgens hatte er versehentlich Begeisterung ausgelöst unter den früh eintreffenden Anatomen, als man ihn auf dem Boden des Leichenkellers vorfand. Sie zeigten ihn daraufhin schon einmal vor und vermaßen ihn, das hatte seinem Bruder immerhin ein bisschen was eingebracht.
    Beinahe so viel wie die Leiche der Alten, die Konrad im Gasthaus mit ihrem Geld unter den Tisch gesoffen hatte. Danach war es leicht gewesen für ihn, denn im Grunde erledigte sich nach der Sperrstunde alles von selbst. Konrad war so freundlich gewesen, sie auf den rechten Weg zu schicken, als sie aufbrechen wollte. Sie war nicht mehr gut zu Fuß. Er versprach sie abzuholen mit seinem Karren, und nichts anderes hatte er schließlich getan.
    Dass einige der Herren Studenten, erzählte der Aufwärter ihm, die Alte auf dem Sektionstisch erkannten, verschaffte dem Anatomieprofessor einen angespannten Moment. Doch der Gelehrte befürchtete völlig umsonst eine Auseinandersetzung mit seinem Kollegen, dessen Haushebamme er eine erstaunlich narbige, steingraue Leber entnahm. Im Accouchierhaus hegte man an der Zergliederung dieser Person kein Interesse.
     
    Konrad fand viele, aber nicht alle, die draußen unter dem Eismond starben. Lene Schindler, Mariettas Magd – deren Sohn mithilfe der Gottschalkin gesund geboren worden war -, trieb in der Lahn unter dem Eis entlang, und wieder waren es Kinder, die sie entdeckten. Lene kam unter ihren Schlittschuhen daher wie eine Nixe mit wehendem Haar. Vielleicht war ihre Seele etwas Schönem begegnet, denn die Kinder erzählten sich, es hätte ausgesehen, als lächelte sie.
    Sie tauchte noch einmal auf, jedoch lediglich als Vermerk in den Akten. Die Lage war eindeutig und die Person unerheblich. Nachdem Polizeiknechte ihren Körper geborgen hatten, überließ man diesen, wie es die städtischen Verordnungen vorsahen, ohne weitere Umschweife der Anatomie. Mit aufgefundenen Toten ohne bekannte Verwandtschaft verfuhr man in dieser Weise.
    Der Geheime Rat Friedrich Homberg, hatte sich ein weiteres Mal auf die Vernehmungskunst des jungen Juristen Collmann verlassen, allerdings ging es dabei nicht um Lene Schindler. Homberg hielt es für überflüssig, den jungen Anwalt mit der Nachricht von dem unschönen Ausgang seiner Bemühungen als Verteidiger zu deprimieren. Größten Wert dagegen legte er auf die sachlich zu ermittelnden Gegebenheiten im Fall Lambert Fessler.

    Es war eine überraschend große Zahl an schwarz gekleideten Marburger Bürgern, die sich am Hang gegenüber der Elisabethkirche eingefunden hatten, und viele von ihnen sahen aus, als hofften sie auf eine Erklärung. Kaum etwas brachte die Leute wohl mehr durcheinander als der völlig unerwartete und von eigener Hand herbeigeführte Tod eines Menschen, den sie für glücklich gehalten hatten. Und mehr noch als sonst nahm sich das in beschneiter Erde frisch ausgehobene Grab wie eine offene Wunde aus.
    Die Begegnung mit der jungen Witwe Therese Fessler hatte Eindruck auf Collmann

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