Die Hebamme
sagte Pauli zu Gesa, die, zurückbleibend mit ihm, den Grund für seine Tränen erfahren hatte.
»Warum bloß hast du denn deine Schätze nicht bei dir im Holzkeller versteckt?«, fragte sie.
»Es kam mir zu einfach vor«, schniefte er. »Weil ich dachte, wenn, dass sie da zuerst suchen würde.«
»Ach, Pauli.«
»Schülerin Langwasser!« Die Stimme des Professors kam gereizt von den Türen des Auditoriums, das er mit seinem Gefolge bereits durchschritt. »Schwatzen Sie nicht, kommen Sie!«
Gesa raffte die Röcke und rannte die Treppe hinauf.
»Der Hausknecht sorgt sich, Herr Professor«, rief sie, »um Frau Textor, und er will sich gern in der Stadt nach ihr umhören.«
»Schülerin Langwasser.« Doktor Heusers Stimme war direkt über ihr. »Der Professor wünscht, dass Sie im Auditorium die Aufgaben der Haushebamme übernehmen.« Er trat zur Seite, bevor sie die letzte Stufe nahm, blieb aber stehen, natürlich nur, um sie an sich vorbeizulassen.
»Du wirst sie finden«, flüsterte sie Pauli zu, der mit offenem Mund zu ihnen hinaufstarrte. »Lauf los.«
Er wusste eigentlich gar nicht so genau, worauf er wartete. Zunächst hatte Pauli einfach nur sehen wollen, ob es noch genug weiterschneite, bis Anna Textor wieder verschwand.
Er hatte sich ein bisschen in der Gegend herumgetrieben und mit nichts Gutem gerechnet, wie immer. Der eine oder andere wollte die Alte gesehen haben, und doch wusste keiner etwas. So, wie das war, wenn man Säufer was fragte oder die andern, die vor Hunger alles vergessen hatten.
Vor etwa einer Stunde dann, als das Stroh in seinen Schuhen an den Füßen festfror, als er mit seinen verschneiten Kleidern zwischen den Bäumen entlang der weißen Wiesen selbst schon fast nicht mehr zu sehen war, hatte er die Augen zugekniffen, um nicht schon wieder zu heulen oder blind zu werden. Der Stock war das Erste, was er sah, als er die Augen wieder aufmachte. Ein Stock, der in einem Hügel steckte. Er griff danach, damit er um sich schlagen konnte, den Schnee von den Gebüschen. Er drosch auf den Hügel ein – der aufplatzte wie die Schale von einem Ei -, und da drinnen saß die Textor.
Pauli war vor Schreck auf den Hintern gefallen und dann auf allen vieren herangekrochen, während es in seinem Nacken noch kälter wurde, als es ohnehin schon war. Nichts zitterte mehr in dem blauen Gesicht, das er vor sich hatte. Ihr Mund war mit Schnee gefüllt, der nicht schmolz.
Erst brachte er nur ein Krächzen hervor, dann warf Pauli sich auf den verschneiten Weg. Und lachte. Er kreischte vor Lachen und brüllte, bis die Wut kam, die er brauchte, um sich an sie ranzutrauen. Er zerrte an ihren verschränkten Armen, hieb auf ihre geschlossenen Fäuste und trat gegen ihre angezogenen Knie. Frau Textor blieb hart. Wenn sie noch etwas hatte von seinem Geld, so gab sie es nicht her. Und der eisigen Frau die Knochen zu brechen, dafür reichte Paulis Wut dann doch nicht.
Aber wenigstens wollte er sehen, wie sie wieder verschwand.
Es dämmerte, und das Schneetreiben wurde immer dichter. Fast fühlte der Junge die Kälte nicht mehr, nur Müdigkeit. Der Holzstapel, hinter dem er vor dem Wind Schutz gesucht hatte, kam ihm schon vor wie eine mächtige Mauer, die ihn festhielt und bewegungslos machte. Kann sein, dachte Pauli, ich schlaf ein bisschen, wie da drüben auf der anderen Seite die Textor.
Das Sirren von beschlagenen Rädern auf dem Schnee ließ ihn hochschrecken, und eine Stimme, die er nicht vergessen hatte. Dass sie verdammmich hier sein müsste, die Alte, hörte er den Mann fluchen. Fast meinte Pauli den stinkenden Atem zu riechen, den der Kerl ihm ins Gesicht geblasen hatte damals. Konrad. Es musste noch jemand bei ihm sein, jemand, der ein Geräusch von sich gab wie ein Schwarm auffliegender Bienen.
Als auf der gegenüberliegenden Seite der Karren zum Stehen kam, zog Pauli den Kopf ein hinter seinem Festungswall und hielt den Atem an.
Konrad ließ noch ein paar Flüche hören und dann ein zufriedenes Knurren.
»He, was machst du denn da?«
Pauli sprang das Herz gegen die Rippen.
»Schaff die Alte auf den Wagen, so wie sie ist!«, befahl die hässliche Stimme. »Und schick dich, Bruder, ich will noch vor der verdammten Nacht in der Ketzerbach sein.«
Die Neugier ließ Pauli noch mehr wagen, als nur weiterzuatmen. Geduckt kroch er an den Rand des Holzstoßes. Vorne am Karren, mit dem Rücken zu ihm, hockte Konrad vor einer Laterne und schlug Feuer. Nur wenige Schritte entfernt von Pauli befand
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