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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cantz Kerstin
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immerhin gesprochen, während sie sich zuvor kaum in der Lage zeigte, ihr Alter zu nennen, geschweige denn Aussagen über den Mann zu machen, der sie in diese mörderische Lage gebracht hatte. Lene sprach lieber von der Hebamme Elgin Gottschalk, in die sie große Hoffnung setzte.
    Collmann geriet ins Schwitzen, während er das Kalbstor hinter sich ließ.
    Nein, auch ihm hatte Lene Schindler nicht viel über den Mann gesagt, den das Gericht als den Schwängerer bezeichnete. Selbst sie nannte ihn nie beim Namen, nur den Schnitter, was für Collmann, der sich mit den Tätigkeiten der ländlichen Bevölkerung nicht gut auskannte, verstörend zweideutig klang. Der Mann war zur Ernte ins Dorf gekommen und fortgegangen, sobald das Getreide in den Scheunen lag. Er blieb ein Unbekannter. Die wenigen Sätze, die Lene über ihn gesprochen hatte, zeigten ihrem Anwalt, dass er nicht mehr über ihn erfahren würde. Collmann war für Lene zum einzigen Mitwisser eines in dürren Worten geschilderten Vorgangs geworden, der sich im Schutz von Holunderbüschen, am Rand eines abgeernteten Feldes, zweimal ereignet hatte. Bald darauf sollte Lene ihr Dorf verlassen und sich als Magd verdingen. Sie hoffte, dass sie vergessen konnte, was – wie sie es nannte – über sie gekommen war.
    Natürlich wusste er als ihr Anwalt dies zusammenfassend darzustellen, als Eröffnung seines mit der Feder geführten Kampfes, in dem er irgendwann nur noch eines wollte, nämlich Lene Schindlers Wortlosigkeit ein Ende machen. Dafür hatte Collmann sogar die Schriften zur Beantwortung der Mannheimer Preisfrage studiert: Hundert Dukaten war es vor nunmehr zwanzig Jahren einem Regierungsrat wert gewesen, sich gelehrte Männer den Kopf zerbrechen zu lassen, welches die besten Mittel seien, dem Verbrechen des Kindsmords abzuhelfen, ohne die Unzucht zu begünstigen. Die Männer warben um Verständnis für die unglücklich Verführten, von denen man das Bekenntnis der Schande forderte, sie mit Strafen demütigte. Die Männer flehten Richter und Landesherren um Gnade an, um Milde. Und tatsächlich schien es, als würden sie gehört. Man begann Abstand zu nehmen von Hurenkarren und Staupenschlag, man ersparte den Inquisitinnen die Befragung unter Folter. Man war zunehmend geneigt, Kindsmörderinnen nicht mehr mit dem Tod durch das Schwert zu bestrafen, sondern mit lebenslangem Kerker.
    Nach allem, was Collmann nun erfahren hatte – denn er wusste zuvor tatsächlich wenig darüber -, fragte er sich: Was hatte sich seither geändert? Frauen, die in eine solche Lage geraten waren, wurden weiter vor den Kirchentüren beschimpft und abgewiesen, und natürlich nicht nur dort. Der wiederholte Anblick ihrer gebrochenen Würde hatte ihm die gleiche Antwort gegeben wie das Aktenstudium.
    Jeder hatte das Recht, eine ehrlose Schwangere vor die Tür zu setzen. Einzig die Mediziner schienen zum Gegenteil entschlossen. Collmann hatte feststellen müssen, dass die Ahnungslosigkeit Lene Schindler zum Verhängnis geworden war: zeigte sich doch dieser Professor der Geburtshilfe, Kilian, als einer von jenen, die um die Not dieser Frauen sehr genau wussten. Der Professor hatte darum gebeten, dem Verhör eine Erklärung voranschicken zu dürfen. Diese hatte den Richter offenbar beeindruckt; man konnte es aus dem Protokoll herauslesen.
    »Mir scheint es fast, Herr Professor Kilian, als wollten Sie den Landgrafen dazu anhalten, die sittlichen Schranken niederzureißen, wenn Sie ihn ersuchen, die Unzuchtstrafen abzuschaffen.«
    »Ach sehen Sie, wer sind denn die vermeintlich Schuldigen, verehrter Herr Rat? Sind es nicht allzu oft die einfachen Weiber, deren schwache Geisteskräfte sie in die missliche Lage geführt hat, ehelos ein Kind zu erwarten? Und der Anlass, Herr Rat, aus dem Sie mich heute zur Befragung bitten, zeigt doch allzu deutlich, dass eine Verfolgung dieser Frauen sie ins Verbrechen treiben muss. Ich bin so vielen von ihnen begegnet, glauben Sie mir, die meisten von ihnen kann man der Einfältigkeit bezichtigen, aber nicht zwingend der Hurerei.«
    »Welchen Eindruck hatten Sie denn von der Beklagten, als sie Ihr Institut aufsuchte?«
    »Den eben genannten. Ein unbedarftes Mädchen. Kaum wollte sie eine ärztliche Untersuchung zulassen. Schwachen Gemüts aufgrund der nahenden Geburt.«
    »Wäre der Beklagten Ihres Ermessens nach zuzutrauen, dass sie das Gebärhaus verlassen hat, um sich ihres Kindes besser entledigen zu können?«
    »Es liegt mir fern, sie dessen zu

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