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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cantz Kerstin
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Augen der Studiosi in Stücke geschnitten.«
    Begreiflicherweise war Marietta Schricker sehr in Rage geraten. Ihre zweifellos schönen Augen von den grotesken Schrecken geweitet, die sie geschildert hatte, umfing sie ihre eigene, schlanke Gestalt, als müsse sie sich vor ihnen schützen.
    »Sie wollten Lene Schindler also nichts Schlechtes?«
    Der Anwalt hatte nicht beabsichtigt, die Zeugin zum Weinen zu bringen.
    »Wird sie sterben müssen?«
    Collmann entschied sich hier zu einem Schweigen.
    »Ich kann nun doch gar nicht mehr glauben, dass sie es getan hat.«
    Ihr aufgebrachtes Schluchzen veranlasste den Gerichtsschreiber zu einem entsprechenden Vermerk, Collmann jedoch nicht zur Milde.
    »Sie haben ausgesagt, dass Sie hinzukamen, als Lene Schindler ihr Kind zu ersticken versuchte. Dass Sie vermuteten, sie hätte ihren Sohn schon auf dem Dachboden getötet, wenn Sie sie nicht erwischt hätten.«
    »Wer weiß schon, ob ich das richtig gesehen habe in meiner eigenen Aufregung? Das habe ich mich schon so oft gefragt in letzter Zeit. Vielleicht hat sie ihn doch nur streicheln wollen.«
    »Wollen Sie Ihre Aussage, die Sie dem Hochedlen Richter gegenüber getan haben, widerrufen?«
    »Ich weiß nicht, nein.«
    »Wollen Sie Ihre Anschuldigungen gegen Lene Schindler zurücknehmen?«
    »Ich kann gar nicht mehr sagen, was ich denken soll. Ist es denn dafür nicht viel zu spät?«
    Das war es wohl.
    Marietta Schricker war die einzige Zeugin, die Collmann selbst befragte.
    Erst jetzt, als er den Weißen Turm vor sich sah und in seinem hastigen Vorwärtsschreiten innehielt, kam ihm wieder in den Sinn, welch merkwürdigen Verlauf die Befragung der Hauptzeugin Elgin Gottschalk durch den Richter genommen hatte.
    »In welchem Zustand haben Sie die Beklagte und ihr Kind vorgefunden?«
    »Beide waren geschwächt von der Geburt. Es war kalt dort auf dem Dachboden, und der jungen Mutter muss es schwer gefallen sein, sich und das Kind warm zu halten.«
    »Das Kind war also stark verkühlt?«
    »Beide waren verkühlt, Herr Rat. Sie hatten einige Stunden da oben zugebracht, es war eine sehr kalte Nacht. Hatte es nicht noch ein letztes Mal geschneit? Ich glaube, ja. Das Mädchen hatte durchaus versucht, sich und das Kind mit Stroh zu bedecken, das konnte ich erkennen.«
    »Woran meinten Sie das erkennen zu können?«
    »Nun, das Stroh war an der Stelle, wo sie lag, zerwühlt und verstreut, sie hatte versucht, ein Lager herzurichten.«
    »Könnte es nicht auch sein, dass sie versucht hatte, ein Versteck zu finden?«
    »Sie hat Zuflucht gesucht für ihre Niederkunft, so würde ich es nennen.«
    »Wäre es nicht denkbar, dass sie ein Versteck suchte, um den Leichnam ihres Kindes zurückzulassen?«
    »Das Kind lebte, und sie war sehr besorgt um sein Wohl.«
    »Was genau haben Sie verrichtet an der Beklagten und ihrem Kind?«
    »Ich habe zunächst die Nabelschnur untersucht, sie erneut abgebunden und durchtrennt …«
    »Die Nabelschnur war nicht durchtrennt?«
    »Die Nabelschnur ist ein außerordentlich fester Strang, Herr Rat. Ohne ein Schneidewerkzeug ist sie schwerer zu durchtrennen, als man sich das vorstellen mag. Tieren stehen als Werkzeug ihre Zähne zur Verfügung; ein Mensch wird sich selbst in der größten Not kaum dazu überwinden können, sie dafür einzusetzen.« Elgin Gottschalk hatte sich einen forschen Ton erlaubt.
    »Was hat das also für Folgen?«
    »In diesem Fall keine, das Mädchen hat das getan, was sie konnte, sie hat die Nabelschnur mit einem Flachsfaden abgebunden. Sie hat das Richtige getan, damit ihrem Kind kein Schaden entsteht.«
    »Was taten Sie dann weiter?«
    »Ich untersuchte das Kind, wusch es mit warmem Wasser und gab es der Mutter. Dann habe ich sie untersucht und versorgt.«
    »Haben Sie bei der Untersuchung des Neugeborenen irgendwelche Spuren entdeckt, die auf versuchte Gewalt hindeuten könnten?«
    »Nein, nichts dergleichen. Das warme Bad hatte seine etwas verfrorenen Lebensgeister geweckt, und von dem Moment wirkte es wie ein gesundes Kind.«
    »Wirkte? Das heißt, sie hatten Zweifel?«
    »Nein, nachdem was mir möglich war festzustellen, hatte ich keinen Grund zu zweifeln.«
    »Sie würden also sagen, dass es sich um ein gesundes, vitales Kind handelte?«
    »Ja.«
    »Wie war das Verhalten der Beklagten zu dem Kind?«
    »In Anbetracht ihrer eigenen Verfassung durchaus liebevoll und fürsorglich. Sie hat sich Gedanken über die Zukunft gemacht.«
    »Gottschalkin, in welchen Fällen ist es einer Hebamme

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