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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cantz Kerstin
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gestattet, eine Nottaufe vorzunehmen?«
    Ob sie zunächst geschwiegen hatte in diesem Moment? Immer nur an Lene Schindler denkend? Meinend zu erkennen, worauf Homberg hinauswollte, erschrocken darüber, welche Schlüsse er zog?
    »Herr Rat, es war keine Nottaufe im herkömmlichen Sinne. Das Mädchen … es hat mich verzweifelt darum gebeten, dem Kind einen Namen zu geben, und auch das ist als Zeichen zu werten, dass es ihr keinesfalls gleichgültig war, sondern dass sie um ihren Sohn fürchtete.«
    »Gottschalkin, ist es nicht so, dass eine Hebamme nur dann die Taufe vollziehen darf, wenn der schnelle Tod eines Neugeborenen zu befürchten ist? Wenn es so schwach ist, dass die kleine Seele eilig gerettet werden muss? Wenn dieses Kind also nicht schwach war, warum haben Sie es getauft? Obwohl Sie der Vorschrift verpflichtet sind, in jedem Fall einen Geistlichen zu benachrichtigen – warum haben Sie es unterlassen? Und Gottschalkin, daraus ergibt sich eine Reihe von weiteren, drängenden Fragen, auf deren Beantwortung das Gericht größten Wert legt, da Sie eine hoch geschätzte Bürgerin unserer Stadt sind. Warum haben Sie nicht, wie es Ihre Pflicht ist, eine heimliche Geburt angezeigt? Warum haben Sie nicht zumindest die Dienstherrin dazu veranlasst?«
    »Es kam mir nicht in den Sinn, dem Mädchen wissentlich zu schaden. Ich fürchte, mehr als diese simple Erklärung kann ich Ihnen nicht geben, Herr Rat.«
    Kein Wort mehr. Keine Frage. Das Verhörprotokoll endete hier, als sei eine Seite verloren gegangen.
    Collmann hatte sich beklommen gefühlt, verantwortlich, er wusste weder wofür noch warum.
    Den Anwalt umfing die Kälte des Weißen Turms. Er folgte dem Schließknecht zu Lene Schindlers Zelle und legte sich immer wieder neu zurecht, wie er es ihr sagen sollte. Dabei brauchte er nur wenige Worte.
     
    Dass sie bald freikommen sollte, bekam Lene am Tag darauf noch einmal vom Richter persönlich zu hören. Sie war gar nicht recht bei sich. Man ließ sie ins Rathaus bringen, las ihr das Urteil vor und viele Erklärungen. Immer wieder fragte der Hochedle Richter, ob sie ihn verstand. Aber ja. Wenn sie etwas begriffen hatte, dann doch, dass sie durch und durch schuldig war. Fünf Monate Kerker für alles, was sie falsch gemacht hatte, blieben also noch fast zwei. Vielleicht war es ungerecht zu glauben, dass es denen nicht um die Wahrheit ging, nicht mal dem Anwalt. Der fand, sie hatte einen milden Richter gefunden. Aber niemanden, der wusste, was aus Felix geworden war, das fand Lene. Es musste doch jemanden geben. Jemanden, der es wusste und damit nicht herausrücken wollte.

    Sie standen mit geschürzten Röcken und aufgerollten Ärmeln im flachen Wasser des Flusses und spülten Wäsche, die sie am Tag zuvor in den Waschfässern mit Asche eingeweicht und am frühen Morgen mit weißer Seife geschrubbt hatten. Sie taten ihre Arbeit und redeten nur wenig über das Mädchen, das bald freikommen würde. Was konnten sie schon sagen, außer dass es gut ausgegangen war?
    Gesa und Lotte hatten inzwischen Übung darin, mit wenigen Worten auszukommen. Manchmal erzählte Lotte von ihren Kindern und Gesa von Tante Bele selig, und in der Harmlosigkeit ihrer Geschichten konnten sie sich ausruhen. Es war eine friedvollere Angelegenheit, als sich über die Haushebamme zu empören oder Witze zu machen, denn schon eine Bemerkung über diese Person konnte auf ihre Stimmung herabfallen wie ein schlechter Geruch.
    In einem stillen Abkommen wussten sie dergleichen von sich fern zu halten. Es gab die anderen Dinge, die sie zuweilen hilflos beredeten und es dann wieder ließen. Diese Gespräche hatten etwas sinnlos Ermüdendes, denn sie führten zu nichts.
    Vom anderen Ufer flogen die Stimmen anderer waschender Frauen hinüber, Kinder scheuchten die Enten auf, und der Sommer warf auf alles ein freundliches Licht. Selbst das Haus in ihrem Rücken wirkte heute wie ein Lebewesen, das in der Sonne zu Kräften kam.
     
    Oben, an einem der weit geöffneten Fenster stehend, konnte Clemens feuchtes Nackenhaar sehen und Wasserperlen auf nackten Beinen. Er wich zurück, als er ihr Lachen hörte, und bemerkte, wie sein Herz schneller schlug.
    Es hatte sich schleichend entwickelt, dieses Gefühl: dass es ein Leben gab, an dem er nicht teilnehmen konnte, nicht wollte oder es sich verbat. Jetzt empfand er dies als einen Mangel. Seit Gesa Langwasser in das Haus Am Grün gekommen war, konnte er mitunter in einen Aufruhr geraten, der ihm völlig fremd war.

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