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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cantz Kerstin
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bezichtigen.«
    »Welcher Grund wäre denn, nach Ihrer Kenntnis der Person und ihres Zustandes, stattdessen bestenfalls anzunehmen?«
    »In einem solchen Falle ist eine umfassende Trostlosigkeit durchaus nahe liegend. Die ungewisse Zukunft. Mutter und Kind mit dem Makel der unehelichen Geburt behaftet. Angst vor der Fornikationsstrafe, die zu entrichten ihr die Mittel fehlen. Sind das nicht Gründe genug? Und aus meiner langjährigen Erfahrung als Geburtshelfer möchte ich Folgendes hinzufügen: Bei einsetzenden Wehenschmerzen können sich derartige seelische Lasten in Erregungszustände steigern, die Formen schweren Irreseins gleichen.«
    »Was auch zum Mord am eigenen Kinde führen kann?«
    »Eine Frau, geschwächt von der Geburtsarbeit, von Schmerzen, Nervenerschütterung und Blutverlust, eine Frau, die geboren hat, ist zu allem fähig, wenn sie ohne Hilfe ist. Wäre dieses Mädchen unter ärztlicher Aufsicht gewesen, hätte es zu keiner beklagenswerten Eskalation kommen müssen.«
    Die Aussage des Professors hatte den unverheirateten Collmann zutiefst erschreckt und dann dazu bewogen, ein Gutachten einzuholen. Es war ihm gelungen, über die medizinische Fakultät einen unabhängigen Gelehrten ausfindig zu machen, der ihn und das Gericht über die Zurechnungsfähigkeit von Gebärenden und Neuentbundenen in Kenntnis setzte. Dieses Gutachten, so meinte Collmann, spielte der Verteidigung den einen vielversprechenden Trumpf zu. Es musste den richtenden Männern jede nur erdenkliche Tat verständlich machen, die eine Frau nach der Geburt eines Kindes imstande war zu begehen.
    Wie sonst hätte sich eine Idee davon vermitteln sollen, welche Affekte und Leidenschaften sich in verheimlichter Schwangerschaft zwangsläufig entwickeln mussten? Die Furcht vor Entdeckung letztlich, ein irritierendes Moment übrigens in der Menge einleuchtender Erklärungen. Denn Lene Schindler hatte offenbar bis zum letzten Moment gehofft, ihre Schwangerschaft könnte sich in Luft auflösen oder fortgeschwemmt werden von einer befreienden Flut gestockten Blutes.
    Im Besonderen nahm sich das Gutachten des verzweifelten Vorgangs einer heimlichen Geburt an. Eine Gebärende, die jeder freundlichen Hilfeleistung entbehren musste, war dem Zustand völliger Erschöpfung in besonderem Maße ausgeliefert. Zum Schwinden der Sinne, sogar zu Gedächtnisverlust konnte dergleichen führen. Ihrem neugeborenen Kind Hilfe zu leisten sei sie beim besten Willen kaum im Stande. Dass dies ein zweischneidiges Argument war, kam Collmann nicht umhin zu erkennen.
    Die Rolle der Brotherrin Lene Schindlers schien ihm undurchschaubar, und so hatte er den Richter um die Erlaubnis einer erneuten Befragung der Zeugin Marietta Schricker ersucht. Das Ergebnis dürfte auch Homberg überrascht haben, wenn er das Protokoll gründlich gelesen hatte, wovon auszugehen war.
    »Wann bekamen Sie Kenntnis von der Schwangerschaft Ihrer Magd?«
    »Spät. Es waren nur wenige Tage vor der Niederkunft.«
    »Erst so spät?«
    »Ja.«
    »Sie haben ihr vorher gar nichts angesehen?«
    »Ich habe sie schließlich nicht unablässig betrachtet, ich hatte doch keinen Grund, ihr auf den Leib zu starren, Herr Anwalt. Nein, sie konnte es gut verbergen. Ich will damit sagen, sie musste sich nicht so sehr anstrengen. Ihr Leib war … Also, sie hat nicht besonders an Umfang zugelegt.«
    »Aber dann haben Sie es plötzlich gesehen?«
    »Ja, plötzlich.«
    »Sie haben Lene Schindler dann sofort aus den Diensten entlassen und fortgeschickt?«
    »Ja. Aber ich wollte ihr trotzdem nichts Schlechtes. Deshalb habe ich ihr gesagt, sie soll zum Haus Am Grün gehen.«
    »Was war Ihnen bekannt vom Haus Am Grün?«
    »Dass man dort die liederlichen Frauen niederkommen lässt.«
    »Sonst nichts?«
    »Nicht mehr, als was geredet wird.«
    »Was ist denn das? Ich bekenne, ich weiß offenbar nichts darüber.«
    Nachdem Marietta Schricker ihn an dieser Stelle des Verhörs eine Weile beäugt hatte, war sie dem Reiz erlegen, den Anwalt in Kenntnis zu setzen.
    »Dass dort ein schamloser Umgang mit den Weibern ist, sagt man. Dass jede ehrbare Frau sich lieber den Hals abschneiden will, als sich in die Hände von den vielen Männern zu geben.«
    »Was, in Gottes Namen, ist damit gemeint?«
    »Junge Kerle, die eine Frau bei ihrem härtesten Angang begaffen! Doktoren, die ihnen die Kinder mit Werkzeugen aus dem Mutterleib reißen. Und wenn sie dabei zugrunde gehen …, wenn sie dabei zugrunde gehen, dann werden sie noch vor den

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