Die Hebamme
Männern festzustellen, und kämpfte kurzzeitig gegen ihren aufkeimenden Widerwillen an. Dieser verflüchtigte sich aber bereits bei den gefüllten Teigtaschen, und beim Fischgang war Elgin vom Wohlbefinden heftig korrumpiert. Es war erstaunlich, dachte sie, wie bereitwillig der Geist dem Körper in die Entspannung folgen konnte.
Als der Wildpfeffer auf den Tisch gekommen war, bereitete es ihr kaum mehr Mühe, in unverfängliche Konversation mit den Herren einzutauchen, und beim Dessert hatte sie von Friedrich Homberg die Herkunft seines Kabinettschranks in Erfahrung gebracht. Seinen drängenden Wunsch, bei einer Frankfurter Manufaktur ein ebensolches Stück für sie in Order geben zu dürfen, lehnte sie mit aller Bestimmtheit ab.
Immerhin war Elgin so weitgehend von Therese Herbst abgelenkt. Diese wiederum war dankbar dafür, dass man sie nicht in ihren Träumen störte. Ihr Tischherr hatte sich, entmutigt durch ihr außerordentlich verhaltenes Wesen, zur anderen Seite abgewandt und beteiligte sich an einem angeregten Gespräch über Seebäder. Therese fand dergleichen neuerdings oberflächlich.
Ihrer zukünftigen Schwiegermutter hatte sie es zu verdanken, dass sie nun wusste, warum Lambert mitunter so in sich versunken und abwesend schien. Caroline Fessler hatte keine Mühe gescheut, Therese nahe zu bringen, dass er stetig auf der Suche nach Worten war, in die er seine Gefühle, besonders seine Sehnsucht, kleiden konnte.
Unter dem Siegel der Verschwiegenheit hatte sie Therese eine Kostprobe seines Schaffens zukommen lassen – niemals dürfte er davon erfahren. Eindringlich hatte ihr Caroline nahe gelegt, Lambert Zeit zu geben, sich ihr irgendwann selbst zu offenbaren. Dass es so kommen würde, daran gab es für seine Mutter nicht den geringsten Zweifel, und seit Therese das Gedicht gelesen hatte, wagte sie es, die ihren abzulegen.
Seitdem war sie nicht einmal dazu gekommen, überrascht zu sein von der Leidenschaft, die sie in seinen Worten vorfand. Lamberts Zeilen hatten in ihr einen Sturm angefacht, der ihre Schamhaftigkeit fortfegte und aufregende Empfindungen freigab. Es traf Therese völlig unvorbereitet. Sie hatte Tage damit zugebracht, das Gedicht immer und immer wieder zu lesen. Manchmal befürchtete sie, die Schrift könnte unter ihren Blicken verblassen. Längst kannte sie jeden Satz auswendig und hatte noch immer nicht alles verstanden.
Nichts von den atemraubenden Dingen, die er niedergeschrieben hatte, war ihr je so deutlich in den Sinn gekommen. Was sie in ihrer Ahnungslosigkeit schon für Liebe gehalten hatte, war kaum mehr als kindische Schwärmerei gewesen, es erschien ihr inzwischen lächerlich. Lamberts Worte hatten ihr Herz zu dem einer Frau gemacht.
Jetzt wusste sie, warum er sich von ihr fern hielt. Welche Kraft musste es ihn kosten, die Sehnsucht zu besänftigen und all der kühnen Gedanken Herr zu werden, die nun auch Therese in sich trug.
Wenn er nur wüsste, wozu er sie ermutigte! Dass sie es zuweilen reizte, nachts – wenn sich das Haus ihrer Eltern in lautlosem Schlaf befand – ihre Hände versuchsweise auf jene Reise zu schicken, die Lambert geschildert hatte. Allerdings beschritt sie diese unbekannten Wege noch sehr ziellos, und oft ließ sie doch lieber ihrer harmlosen Fantasie den Vortritt. Nur einmal hatte sie das Nachthemd von den Schultern gestreift und überprüft, ob sich die Brüste unter ihren Händen ebenso verhielten, wie es ihr versprochen worden war. Hier und da bedurften Lamberts Ausführungen offenbar geringfügiger Korrekturen. Doch das waren kleinliche Gedanken und das Einzige, wofür sie sich schämte.
Tatsächlich störte es Therese nicht, dass Lambert sich die künstlerische Freiheit genommen hatte, einige Details ihres Äußeren anders zu zeichnen, den Realitäten entrückt gewissermaßen. Sie hoffte nur, dass er dem Zauber seiner eigenen Bilder nicht allzu sehr verhaftet blieb. Dann war er möglicherweise enttäuscht, wenn er feststellen musste, dass ihr gelöstes Haar keinesfalls in weichen Wogen bis auf ihre Hüften niederfiel, so wie er es sich lustvoll ausgemalt hatte. Und wie sollte er die Farbe ihrer Augen kennen, wenn er es kaum je wagte, ihrem Blick standzuhalten? Von nun an würde es ihr genauso gehen, und es machte sie glücklich, dass es etwas gab, was sie schon jetzt mit ihm teilen konnte.
Nicht einmal ihrer Freundin Malvine hatte sie sich anvertraut, denn natürlich war in den vergangenen Tagen nur von der Taufe die Rede gewesen. Sie
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