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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cantz Kerstin
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Essigräucherung ist und bleibt Pflicht.« Und als sie sich nicht von der Stelle rührte: »Nun denn, worauf warten Sie?«
    Wenigstens ihren eisigen Blick auf das Gör hatte er nicht übersehen können.
    »Mit dem Kind können wir eine Ausnahme machen, denke ich, da es niemanden gibt, den es stören könnte. Ganz im Gegenteil, es wird zur Gesundung der Mutter beitragen. Und im Übrigen bedarf es wohl gleichfalls ärztlicher Versorgung.«
    So billig war die Sache für ihn erledigt gewesen, und die Langwasser in ihrer Scheinheiligkeit hatte ganz erleichtert getan. Bei der Untersuchung der Person wollte der Professor dann auch die Schülerin dabeihaben, und sie, die Haushebamme, die doch bislang immer dabei anwesend zu sein hatte, schickte er fort.
    »Trinken Sie nicht davon, Frau Textor. Es wirkt nicht«, hatte die andere gesagt, als sie den Essig in die Räucherpfanne goss und dabei würgen musste. Das war ein Moment gewesen, wo sie nicht wusste, was schlimmer in ihr tobte – die Wut oder der Schmerz. Und nur der hatte sie davon abgehalten, der Seiler das Räuchergefäß ins Kreuz zu schlagen. Der lange Pfannenstiel hätte gereicht, sie zu erwischen, das Miststück befand sich direkt hinter ihr am Herdfeuer und wandte ihr den Rücken zu. Sie hätte sich nur drehen müssen, aber nicht einmal das ließ ihr gepeinigter Körper zu.
    In ihrem Bett zog Anna Textor die Schultern hoch und verharrte in der muffigen Körperwärme, die sich unter der Decke staute. Ohne den Kopf zu heben, und dazu hatte sie nicht die geringste Lust, konnte sie kaum bis zum Fußteil des Bettes sehen, hinter dem in einer Truhe ihre Habseligkeiten ruhten. Das Einzige, was der alten Hebamme im tristen Licht einer fragwürdigen Tageszeit in den Sinn kam, war die Gier nach der Flasche, die unter alten Röcken, einem Paar Schuhe und einem verstaubten Bündel Flachs verstaut gewesen war. Schon vor Tagen hatte sie den letzten Tropfen aus dem Flaschenhals geleckt. Keine Feuerbälle hatten sie seitdem erlöst. Die Suche nach einem vergessenen Vorrat im Haus hatte zu nichts geführt. Nur, dass ihre Knochen noch erbarmungsloser nach Medizin verlangten.
    Auch ihr dicker Schädel, in dem die hässlichen Gedanken herumklickerten wie die Steine vom Blödkopf, verlangte danach. Es kostete sie einige Anstrengung, sich aller Verstecke zu erinnern, die sie über das Jahr hinweg immer wieder gewechselt hatte. Den Schlüssel zum Medikamentenschrank hatte man ihr auch abgenommen. Und während ihr träger Geist die Räume des Gebärhauses durchstreifte, fiel Anna Textor ein, dass es noch eine Hoffnung geben konnte. Ausgerechnet die Küche hatte sie noch nicht in Ruhe absuchen können, weil dort neuerdings so wichtigtuerisch gewirtschaftet wurde.
    Die Stimme im Nebenzimmer war verstummt, und plötzlich schien es der Hebamme Textor lohnenswert, die ungefähre Stunde des Tages oder einer sich vielversprechend nähernden Nacht auszumachen. Sie schob die Decke von sich und setzte sich mit einer Leichtigkeit auf, die sie selbst überraschte. Im Zimmer war es inzwischen fast dunkel, so konnte sie sofort den schwachen Lichtstreifen sehen, der sich in ihre Kammer schob. Sie öffnete die Tür einen Spalt breit, und das genügte, um Stimmen zu hören, die von unten kamen. Ein Lachen mischte sich darunter, möglicherweise eines, das gegen sie gerichtet war. Es machte sie nicht wütend, sondern seltsam ruhig. Es verschaffte ihr Sicherheit, dass sie auf der richtigen Spur war. Auch ihr Körper hatte sein inneres Toben eingestellt und verhielt sich still. Als hätte er ein Versprechen zur Kenntnis genommen, dem er vertraute, zumindest für heute.

    Im oberen Teil der Apotheke, der sich mit einer Galerie voller Regale hinter dem gedrechselten Geländer zum Verkaufsraum hin öffnete, saß Lambert am Arbeitstisch seines Vaters. Über ein Herbarium gebeugt, beschriftete er die Seite mit dem getrockneten Blütenstängel eines Solanum dulcamara .
    Inzwischen wusste er es zu schätzen, dass seine Mutter dem Provisor die Benutzung der Studierstube ihres verstorbenen Mannes verwehrt hatte. Je öfter Lambert sich jetzt hier aufhielt – zwischen der Mineraliensammlung, den sorgsam geordneten Niederschriften von Salben- und Ölrezepten, Notizen über Pulver und Kräutermixturen, inmitten der Bibliothek und den Kupferstichen -, umso mehr meinte er die Anwesenheit des alten Fessler zu spüren, manchmal sogar dessen Liebe zur Pharmacie, die einzige Liebe letztlich, die im Leben seines Vaters übrig

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