Die Hebamme
vermissen und vielleicht ein wenig von dem Schmerz zu kosten, den er so viel besser kannte als sie.
Lambert tauchte die Feder ins Tintenfass. Bittersüßer Nachtschatten, schrieb er. Er schob das Herbarium von sich.
Seitdem der Schlüssel nicht mehr auf dem Fenstersims zu finden war und er sich viele Male vergeblich die Hände an den Dornen zerrissen hatte, war nichts mehr bittersüß in den Nächten. Er schlief schlecht, schrieb und zerriss zahllose Gedichte, zu Papier gebrachte Klagelaute, für die er sich schämte. In dem lang anhaltenden Regen war ihm sein Zimmer vorgekommen wie eine Gefängniszelle, und bei seinen nächtlichen Wanderungen durch das Haus war er irgendwann im Studierzimmer seines Vaters gelandet. Seitdem lernte er – er versuchte es zumindest. Das Lob und die Freude seiner Mutter taten ihm gut. Er dankte es ihr und hielt den Provisor in Schach. Er begleitete ihn bei dem Gang in die Materialkammer, um Arzneistoffe und Präparate aus den Vorräten zu ergänzen, schaute ihm beim Rezeptieren über die Schulter, er legte im Laboratorium die Schürze an und übernahm unter Stockmanns penibler Anleitung das Zerkleinern von Wurzeln und das mühsame Stoßen von Lerchenschwamm. Lambert zeigte sich in allem lernbegierig. Die Idee, Elgin schon bald mit seinen Fortschritten beeindrucken zu können, löste zuweilen zaghafte Euphorie in ihm aus. Schon in den nächsten Tagen wollte er sich beim Collegium medicum zur Prüfung anmelden.
Heute Morgen hatte ihn die Unruhe so früh aus dem Bett getrieben, dass er die Kräuterweiber einlassen konnte, die unten vor der Tür gewartet hatten. Viel war es nicht, was sie nach dem großen Regen an die Apotheken verkaufen konnten, doch ein paar Bündel Kamillen oder Schafgarbe brachten sie immer zusammen.
Nun dachte Lambert, dass es Zeit fürs Frühstück sei, und noch bevor er das Zimmer verließ, hörte er die polternden Schritte des Lehrjungen auf der Treppe.
»Rumschicken tut man mich, dass mir die Hacken abfallen von der Stiegensteigerei«, hörte er ihn auf dem Weg zum Kräuterboden fluchen. »Ich weiß ja nicht, wer von denen die schlechtere Laune hat. Fest steht, dass ich es ausbaden muss.«
Elgin hätte dem Mann am liebsten in sein verkniffenes Gesicht geschlagen. Zumindest hätte es dann etwas Farbe erhalten.
»Es ist mir rätselhaft«, sagte sie, »warum Sie mir heute bei nahezu jedem Mittel Schwierigkeiten machen wollen.«
»Sie sind gereizt, gute Frau.« Der Mann vermied jedes Mienenspiel. »Und offenbar ungeduldig, wie ich feststellen muss. Aus dem Handverkauf haben Sie die gewünschten Kräuter erhalten, und wenn es Ihnen nun einfallen will, dass Ihnen das Zusammenstellen von Rezepturen zu lange dauert, dann möchte ich Sie bitten, nicht mir einen üblen Willen zu unterstellen. Und was diese bestimmten anderen Mittel betrifft, so gibt es da bedeutende neue Verordnungen …«
Vor dem Verkaufstisch trat Elgin einen Schritt auf die Seite, um der unerfreulichen Gestalt des Provisors Stockmann nicht länger gegenüberstehen zu müssen. Durch die dunklen Regalreihen hindurch konnte sie Caroline Fessler entdecken, die an einem kleinen Tisch offenbar damit beschäftigt war, Arzneischachteln auszukleiden. Es wunderte Elgin, dass sie noch nicht längst vorn bei ihnen in der Offizin war. Dafür, dass diese Frau sonst so neugierig war, blieb sie erstaunlich teilnahmslos. Sie schaute nicht einmal auf.
»Was für Verordnungen?«, fragte Elgin.
»Das Collegium medicum hat bestimmt, dass künftig Brechmittel und Drogen, die Krämpfe erzeugen, nur noch auf Verordnung eines Arztes abgegeben werden dürfen.« Stockmanns Stimme blieb aufreizend monoton. »Das betrifft Mittel wie …«
» Secale cornutum, das Mutterkorn, nehme ich an …«
»… sowie die von Ihnen gewünschten Pulver, in denen Semen nucis vomicae , also …«
»Die Samen der Brechnuss, ja.«
»Eine ungewöhnliche Auswahl an Mitteln, so will es mir scheinen …«
»Hören Sie«, sagte Elgin, »Sie wissen, dass ich Hebamme bin und...«
»Nun eben, das meinte ich. Und da Sie die Verordnungen nicht kennen, zumal Sie doch aufgerufen sind, sich vom Collegium medicum in jedem Quartal die Ordnung vorlesen zu lassen, möchte ich hinzufügen, dass Sie zukünftig auch Giftmittel nur noch mit einer Bescheinigung des Stadtphysicus erhalten.«
»Welche der Drogen auf meiner Liste sollte das nun betreffen?«
» Herba sabinae, die Sadebaumspitzen, dürfen im Handverkauf nicht mehr abgegeben werden. Gerade,
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