Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cantz Kerstin
Vom Netzwerk:
geblieben war. Ohne Verständnis dafür aufbringen zu können, tröstete es Lambert, sich in einer Umgebung aufzuhalten, die sichtbare Zeichen einer Leidenschaft enthielt. Es tröstete ihn, obwohl er seinem Vater als Sohn nicht sehr nahe gewesen war.
    Das enge Zimmer, in das Tageslicht kaum Einlass fand, weckte Lamberts Erinnerungen an eine Zeit, in der das anders gewesen sein musste. Es waren Bilder, die einen Geruch nach Sommern hatten, wo Sonne den Apothekergarten beschien. Bilder von hoch gewachsenen Pflanzenreihen, die er als Kind durchlief wie Labyrinthe.
    Sogar die jüngere Stimme seines Vaters erinnerte er und die Geduld, mit der er ihn bei den Ausflügen in die Gärten befragte. Wie das Gesicht ausgesehen hatte, wenn der gespitzte Mund Humulus lupulus , die lateinischen Worte für Hopfen, aussprach. Während dieser Sommermonate, daran erinnerte sich Lambert plötzlich wieder, waren Rosa canina und Cucurbita pepo für ihn Fabelwesen, die sich in der irdischen Gestalt von Hagebutte und Kürbis versteckt hielten. Die Freude des Vaters an der Fantasie eines Kindes war wohl mit einer seiner Töchter gestorben, es mochte auch sein, dass er sie für einen Jungen unpassend gefunden hatte. Von seinem Sohn wünschte er sich ernsthaftes Interesse, ein Geschenk, das Lambert ihm schuldig geblieben war, und das hatte sie auf Dauer voneinander entfernt.
    Deshalb hatte Bertram Fessler sich wohl mit Elgin Gottschalk so begeistert ausgetauscht. Eine Weile hatte er für den Geschmack seiner Gattin deutlich zu begeistert von ihr gesprochen, und bald hatte Caroline es sich verbeten, noch länger bei Tisch den Namen dieser angeblich so gelehrten Person hören zu müssen. Fessler sprach also nicht mehr über sie. Aber mit ihr immer.
    Wenn sie die Apotheke aufsuchte, ließ er sie nicht mehr so bald gehen, und sofern es ihre Zeit zuließ, folgte die Hebamme dem alten Mann in sein Studierzimmer, wo er sie Einblick in seine Aufzeichnungen nehmen ließ. Sie begannen, einander Bücher auszuleihen. Medizinische und botanische Werke gingen zwischen ihnen hin und her, und Lambert wurde schließlich als Bote eingesetzt, da es seinem Vater selten möglich war, die Apotheke zu verlassen. Wenn Lambert im Hause der Hebamme etwas abgab, bekam er sie nicht zu Gesicht. Immer war es ihre Magd, die ihm die Tür öffnete und entgegennahm, was Bertram Fessler überbringen ließ.
    Bis auf jenen Herbsttag. Er hatte sich schon zum Gehen gewandt, als ihn ihre Stimme von oben, aus dem geöffneten Fenster zurückrief. Und als sie in der Haustür auftauchte, ihn atemlos bat, seinem Vater das Buch mitzunehmen, das sie ihm versprochen hatte, da sah Lambert zunächst nur ihr Haar. Es war so lang und dicht, dass man meinen konnte, sie trüge einen Umhang. Die Oktobersonne gab den gelösten Flechten einen Schimmer von sehr dunklem Honig. Augenblicklich hatte er eine unbändige Lust verspürt hineinzufassen, und als Nächstes überraschte er sich bei der stummen Frage, wie es wohl sein mochte, wenn sie einen Mann damit zudeckte. Tat sie es? Deckte sie einen Mann damit zu? Hatte sie einen? War die Hebamme Gottschalk verheiratet?
    Das Gesicht der alten Magd, die neben ihr stand, sah aus, als hätte sie jeden einzelnen seiner Gedanken verstanden. Fast schien es, als wollte sie ihre Dienstherrin zurück ins Haus drängen, damit nicht noch mehr Leute sie in diesem unziemlichen Aufzug sehen konnten.
    »Grüßen Sie mir meinen Freund«, hatte Elgin gesagt, und ihm kam zum ersten Mal zu Bewusstsein, wie tief die Stimme dieser Frau war. Sie war, so dachte er, sehr körperlich. Doch im Grunde hatte sein Denken da schon längst ausgesetzt. Mit einem Schlag war alles an ihr einzigartig, was er zuvor nie an ihr wahrgenommen hatte, wenn sie sich in der Apotheke aufhielt.
    Er hatte es eilig gehabt, seinem Vater das Buch zu geben und die Grüße in aller Ausführlichkeit auszurichten. So konnte er von ihr sprechen. Es erregte ihn, sie sich auf diese Weise ein wenig anzueignen. Von seinem arglosen Vater erfuhr er, dass sie nicht verheiratet war.
    Schon in der Nacht schrieb er sein erstes Gedicht für sie. Er wollte seine Empfindungen festhalten, laut aussprechen, immer wieder. Wie alle Liebenden wollte er das Wunder in Worte fassen und es damit unsterblich machen. Wie alle Liebenden hatte er geglaubt, ihr Herz mit seinem leiten zu können. Auch jetzt noch wollte er daran glauben. Er hatte entschieden, sie nicht zu bedrängen. So schwer es ihm fiel, er würde ihr Zeit geben, ihn zu

Weitere Kostenlose Bücher