Die Hebamme
darin, also streng dich nicht an.«
Gesa schwieg und blieb bei den Körben einer Alten stehen, beugte sich herab, begutachtete das Gemüse, suchte Zwiebeln heraus, gelbe Rüben und Fenchel. Sie wusste nicht, ob Lotte Recht hatte. Und wenn, sie würde es nicht einmal abstreiten wollen. Es gab zu viele Fragen, die sie ihr nicht stellen würde, das schon.
Sie bezahlte die Alte und band das Tuch mit den restlichen Münzen unter der Schürze fest. Der Doktor, den sie selbst im Stillen nie anders nannte, zeigte sich zurückhaltender denn je. Und in ihrer Nähe, fand Gesa, wirkte er eher verschlossen. Jetzt, wo keine Schwangeren im Haus waren, war er fast nur noch in seiner Dachstube.
»Nachts höre ich seine Schritte«, sagte sie vor sich hin, »manchmal denke ich, dass er über mir stehen bleibt, weil er weiß, dass ich da bin, direkt unter ihm.«
»So, so. Unter ihm.« Lotte hatte Mühe, Gesa durch eine Lücke zwischen zwei Ständen hindurch zu folgen. Nach wenigen Schritten hatten sie den Markt verlassen.
»Also würde es dir doch gefallen?«, fragte Lotte lauernd. »Unter ihm zu sein oder wenn er über dir wäre.«
Mit einem ärgerlichen Laut setzte Gesa den schweren Korb mit den Einkäufen ab. Sie hatten eine Treppe erreicht, die steil in eine der unteren Gassen führte. Gedämpft kam der Lärm vom Markt herüber, zwischen den Häusern stand die feuchte Luft. Lotte setzte sich auf die oberste Stufe und zupfte Gesa, die unschlüssig neben ihr stand, am Rocksaum, bis sie sich neben ihr niederließ.
»Immer stellst du mir solche Fragen, ich komme mir dumm vor. Ich wünschte, du wolltest damit aufhören«, sagte Gesa. »Woher soll ich das wissen, ob es mir gefallen würde? Ich glaube, er ist ein guter Mensch. Dass ich mich nicht fremd neben ihm fühle, das macht er mit seinem Wesen. Oft ist es, dass ich mehr von ihm erfahren will. Er macht mich neugierig. Glaube ich.«
»Du willst mir doch nicht erzählen, dass dir noch nie einer nahe gekommen ist.«
»So wie du es meinst, ganz sicher nicht.«
»Ein Kuss? Nicht mal ein Kuss von irgendeinem?«
Von irgendeinem. Das allerdings traf es ziemlich gut, was sich abgespielt hatte.
Im Halbdunkel unter der Stiege eines Hofes, wo sie auf Tante Bele wartete, die eine Bäuerin von ihrem achten Kind entband. Es war der schnelle Atem ihres Ältesten an Gesas Hals, seine ungeschickten Finger an ihrem Wams. Sein Mund, der sich auf ihren presste, ohne dass es noch einen wärmenden Blick gegeben hätte, einer von denen, die während des Winters in der Spinnstube zwischen ihnen hin und her gegangen waren. Ihr Kopf, der gegen die Wand gedrückt wurde, dass sie das Knirschen des Kalkputzes hören konnte. Und dann Tante Beles schneidende Stimme.
Wie immer hatte sie nur wenige Worte gemacht. Zu Hause, als Gesa an jenem Abend im Bett lag, hatte sie durch die angelehnte Tür ihrer Kammer Tante Bele gehört, wie sie das Wort »Leidenschaft« aussprach, ja fast ausspuckte. »Gebe Gott, dass sie nicht diese Leidenschaft in sich trägt.«
Fortan hatte sie ihre Nichte beobachtet, als befürchte sie das Ausbrechen einer tödlichen Krankheit. Heute wusste Gesa, wie groß Beles Angst gewesen sein musste, dass Maries Erbe deren Tochter die gleichen Fehler machen lassen würde. Sie wartete nicht mehr lange, bis zu Gesas fünfzehntem Geburtstag. Wenige Tage danach trat sie nachts an ihr Bett und sagte zum ersten Mal: »Gesa, wach auf. Wir müssen los.«
»Vielleicht war es klug, dich so früh mit zu den Frauen zu nehmen«, sagte Lotte jetzt. »Und sicher ist es sehr klug von dir, dass du dich von dem Doktor fern hältst. Denn letztlich hat das alles mit Liebe nur wenig zu tun. Wenn du einmal damit anfängst und schließlich verheiratet bist, dann kriegst du ein Kind nach dem anderen. Bei jeder ist das so, und für manche ist es eine Erlösung, im Kindbett zu sterben. Das immerhin weißt du genauso gut wie ich.«
Gesa räusperte sich.
»Aber Liebe«, sagte sie, »die gibt es doch, will ich hoffen?«
»Schon«, erwiderte Lotte. »Das hat sich die Natur für die Menschen gut ausgedacht. Vielleicht aber auch nur für die Frauen.«
Kaum merkbar hatte der Regen wieder eingesetzt. Gesa streckte ihre Hände aus, fing einige Tropfen auf und fuhr sich über das Gesicht.
»Damit sie sich auf all das einlassen?«, fragte sie. »Das wäre eine traurige Angelegenheit.«
»Aber es wäre eine Erklärung.« Lotte stand auf und griff nach ihrem Korb. »Und nun? Was machen wir mit dem Auftrag vom Professor,
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