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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cantz Kerstin
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lauter, als sich hinter ihr noch einmal die Tür öffnete.
    »Warten Sie bitte, Gottschalkin. Darf ich Sie begleiten?«
    »Hat man Sie geschickt, um noch ein gutes Wort einzulegen?« Der junge Arzt hob die Handflächen. Er hatte ein warmes Lächeln, das nicht so hilflos war, wie er sich möglicherweise fühlte. Während der seltsamen Führung durch das Institut hatte der hoch gewachsene Mann sich meist schweigend an der Seite des Professors gehalten. Er äußerte sich stets knapp, wenn Kilian ihn gespreizt dazu aufforderte, es behagte ihm offenbar wenig, lediglich die Lücken zu füllen, die dieser ihm ließ. Und doch wirkte Doktor Heuser alles andere als eitel, eher wie ein scheuer Mensch, der versehentlich auf die Bühne eines überfüllten Theaters geraten war.
    Elgin erwiderte sein Lächeln, und gemeinsam entfernten sie sich ein paar Schritte vom Auditorium.
    »Sie korrespondieren also tatsächlich mit Madame Loisin in Paris?«, fragte sie.
    »Ja. Ich bin derzeit besonders glücklich darüber, dass sie mir ihr Intrapelvimeter geschickt hat, ein Instrument zur inneren Beckenmessung.« Er zögerte. »Wären Sie interessiert, es zu sehen?«
    Er entschuldigte sich, dass er sie bitten musste, ihm die Stiegen hinauf in eine kleine Dachstube zu folgen. Dort angekommen, entschuldigte er sich für die Unordnung, während sie sich dem Schrank näherte, der erst vollständig sichtbar wurde, als der junge Arzt die Tür schloss. Noch nie hatte sie eine Sammlung weiblicher Becken gesehen.
    Heuser ließ sie Einblick in seine Aufzeichnungen nehmen, zeigte ihr einige seine Berechnungen und Schlussfolgerungen, die er aus seinen Erkenntnissen für die Untersuchung schwangerer Frauen zog. Auf ihre Bitte hin nahm er eines der verformten Becken aus dem Schrank und erläuterte ihr die Anwendung des Pelvimeters der Loisin.
    »Sie beschreibt seine Bedeutsamkeit mit Einschränkungen«, sagte er, während Elgin das Instrument in die Hand nahm und fasziniert seinen Mechanismus betrachtete, »und merkt an, dass im Zweifelsfall die Messung mit der Hand die zuverlässigsten und vor allem wohl schmerzfreieren Resultate ergibt. Warten Sie, ich möchte Ihnen noch etwas zeigen.«
    Er suchte den Brief der französischen Hebamme zwischen dem Wust von Papieren auf seinem Tisch, um sie die Zeichnung einer weiteren Erfindung sehen zu lassen.
    Elgin legte das Messinstrument aus der Hand.
    »Haben Sie Schmerzen?«, fragte er unvermittelt, ohne seine Suche zu unterbrechen. »Wenn Sie länger stehen oder sitzen?«
    Sie lächelte über sein Bemühen, die Frage beiläufig klingen zu lassen. »Was würden Sie daraus schließen, wenn es so wäre?«
    Er sah sie an. »Dazu müsste ich mehr über die Natur Ihrer Schmerzen wissen.«
    »Soll dies nun ein Gespräch zwischen Arzt und Patientin werden?«, fragte sie. »Es gibt einen Grund für die Schmerzen und eine Geschichte.«
    »Darf ich sie hören?«
    »Warum nicht? Es ist immerhin die Geschichte eines Arztes – meines Vaters.« Es wäre das erste Mal, dass ich sie jemandem erzähle, dachte sie. Merkwürdig, ausgerechnet heute in diesem Haus davon zu sprechen, vielleicht aber auch nicht. Sie bat Heuser, auf dem einzigen Stuhl in der niedrigen Kammer Platz zu nehmen, damit er nicht länger so krumm dastehen musste, und bekräftigte, dass sie es vorzog, sich an den Tisch zu lehnen.
    Dann erzählte sie ihm von der Antrittsrede des Professors Matthäus Gottschalk an der Universität in Freiburg und von deren Folgen.
    Welchen Widerstand seine Ansprache auslöste, in der er dafür plädierte, Chirurgie und Medizin in einem Beruf zu vereinen! Matthäus Gottschalk sah sich aufgerufen, seine Überzeugungen vehement zu vertreten. Den Stolz derer, die auf ihren Privilegien gegenüber den chirurgischen Handwerkern beharrten, die fürchteten, sich mit Wundärzten und Barbieren gemein zu machen, hatte Gottschalk gewagt, schlicht als dumm zu bezeichnen.
    »Schon während er an der medizinischen Fakultät gesprochen hatte, gab es im Hörsaal aufgebrachte Zwischenrufe und Tumulte. Es setzte sich fort in seinen Vorlesungen. Doch mein Vater wollte sich keinesfalls davon beirren lassen. Es gab jene Studenten, die ihm das außerordentlich übel nahmen, und es gab die anderen, die seiner Lehre begeistert folgten. Mit ihnen führte er praktische Übungen durch, Operationsübungen an Leichnamen. Die Übelnehmer handelten schnell und stürmten den Hörsaal noch in der zweiten Stunde des Kurses. Man sagte, mein Vater ließ das Skalpell

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