Die Hebamme
du mir nicht gratulieren? Vor dir steht ein geprüfter Apotheker.«
»Alles, was ich möchte, ist, dass du gehst und nie wieder kommst. Diese aufgeregten Inszenierungen, diese kindischen Auftritte. Die ganze Stadt spricht über dich. Dir mag das gleichgültig sein – aber mir ist es das ganz und gar nicht. Wenn irgendetwas über unsere … Verbindung ans Licht kommt – für mich steht alles auf dem Spiel – mein Beruf nämlich, der mir alles bedeutet. Du setzt dich einfach darüber hinweg. Ist es das, was du willst? Mir gefährlich werden?«
»Nein«, sagte er mit einer Bestimmtheit, die ihr unerträglich war. »Ganz im Gegenteil. Ich sehe sehr deutlich, dass ich alles anders machen muss. Diese Heirat ist verlogen. Ich sehe das ein. Ich muss sie absagen, das ist mir klar geworden. Manchmal ist es gut, auf Reisen zu gehen, und wenn es nur bis nach Frankfurt ist. Man sieht plötzlich alles viel klarer. Ich darf diese Heirat keinem von uns antun, nicht mal …«
»Sprich nicht weiter, ich bitte dich!« Sie war vor ihm zurückgewichen und prallte mit dem Rücken an den Pfosten des Bettes. »Hör auf, sei still«, flüsterte sie. »Ich will das nicht hören. Du machst mir Angst.« Ihr Schluchzen vernahm sie wie einen fremden Laut. Sie spürte kaum, dass er sie an sich zog. Sie weinte und wusste nicht, was dagegen zu tun war. »Ach, warum gebe ich dir die Schuld? Ich selbst habe die Gefahr in Verzug gebracht. Ich war das. Ich hätte nie zulassen dürfen, dass du …«
»Wir …«
»Nein.«
»Was soll ich denn bloß machen, damit du keine Angst vor mir hast?«, sagte Lambert erschrocken.
»Heirate diese junge Frau«, sagte sie. »Mach doch bitte alles so, wie du es vorhattest, bevor du mich kanntest. Lass mich mein Leben weiter so führen, wie ich es immer wollte.«
»Ich liebe dich, Elgin Gottschalk.«
»Aber ich dich nicht.«
»Das ist nicht wahr«, sagte er.
»Doch.«
»Komm«, er packte sie an den Schultern, als wollte er sie schütteln, doch dann ließ er sie los, »ich will dir dabei zuschauen, wie du es sagst.«
Sie fuhr sich über das Gesicht und sah ihn an.
»Ich liebe dich nicht.«
Sie füllte ihr Glas, ohne davon zu trinken. Er nahm es ihr ab, als er dicht hinter sie trat, und leerte es in einem Zug.
»Wenn das so ist«, sagte er, »dann sollte ich noch einen letzten Wunsch frei haben. Ich will von meinem Verbündeten Abschied nehmen, bevor ich gehe.«
Sie hörte nur das Wort Abschied. Allein deshalb ließ sie alles geschehen. Das Letzte und Einzige, was sie ihm noch geben wollte. Sie überließ es ihm, sie zu entkleiden und ihr Haar zu lösen. Hinter den Vorhängen ihres Bettes empfing sie seine letzten Küsse, sie lag da wie so oft, mit ausgebreiteten Armen. Ihr Körper nahm seine Berührungen mit der gewohnten Lust entgegen. Alles ein Abschied. Während er sie liebte, sollte für sie die Hingabe ein Ende haben. Sie war sehr stark, stärker als er, dachte sie. Sie sah ihn an und ertrug seinen Blick, bis sein Gesicht sich verzerrte. Dann hielt er sie fest wie immer. Seine Finger strichen durch ihr Haar, und seine Lippen sammelten ein letztes Mal den Schweiß von ihrem Nacken.
»Das wird nie wieder jemand tun«, sagte sie. »Das ist ein Versprechen.«
»Wie traurig«, sagte er. »Was für ein trostloses Versprechen.«
Gesa hatte die Hebamme größer in Erinnerung gehabt. Sie war überhaupt nicht groß, fast konnte man sie als klein bezeichnen. Sie war auch nicht schön, jedenfalls besaß sie nicht die Schönheit der gefälligen Art. Der dicke Haarknoten im Nacken sah aus, als müsste er sie beschweren. Doch ihr Gang war leicht, beinahe schwebend, aber das war sicher nur eine Einbildung, die sich durch das lose fallende Kleid aus weichem Stoff ergab und einen Kapuzenmantel, den sie öffnete, aber nicht ablegte.
Als Elgin Gottschalk das Auditorium an der Seite des Professors betrat, herrschte sofortige Stille. Die Studenten erhoben sich höflich und setzten sich erst wieder, nachdem sie der Professor mit einer knappen Geste dazu anwies.
»Das ist sie«, flüsterte Gesa, »die Hebamme, von der ich dir erzählt habe.«
Lotte sagte ausnahmswiese nichts.
Doktor Heuser begrüßte die Frau mit einer knappen Verbeugung und nahm neben ihr Platz. Die Stühle waren so aufgestellt worden, dass sie das Auditorium von der Seite aus überblicken konnte. Professor Kilian begann seine Vorlesung, nachdem er seinen Hörern den Gast vorgestellt hatte. Warum sie da war, ließ er sie nicht wissen.
Ob sie es
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