Die Heidehexe - Historischer Roman
Elend geworden wärest. Jämmerlicher Feigling.“ Er spuckte vor ihm aus.
„Lass ihn, Christian. Er hat recht. Und das weißt du so gut wie ich. Wir haben nichts mehr an der Front verloren. Weil du das nicht einsehen willst, beschimpfst du meinen Bruder. Glaub mir, der Feind ist übermächtig. Selbst die gesunden Soldaten haben keine Chance gegen ihn. Sei froh, dass wir mit dem Leben davongekommen sind. Bleib zu Hause bei deiner kranken Mutter, die es dir danken wird.“
„Also willst auch du den Fahneneid brechen?“
„Nicht ich breche ihn, sondern das Schicksal hat mir die Entscheidung abgenommen. Mein Platz ist daheim bei Alw in. Wenn du Isabella triffst, grüße sie von mir und sag ihr, dass ich sie über alles auf der Welt liebe und hoffe, dass sie mir irgendwann meinen Treuebruch verzeiht. Den Verlust meines Beines werde ich vielleicht verkraften, nicht aber den Verlust ihrer Liebe. Bitte, Victor, schick sie zu mir. Versprich es.“
„Wie kann ich so etwas versprechen? Isabella ist ein freier Mensch und wird das tun, was ihr Herz befiehlt. Ich werde mein Möglichstes tun, sie zur Heimkehr zu überreden, aber sie hat leider einen ebensolchen Dickschädel wie du. Wenn deine Liebe so groß ist, komm mit mir, überzeuge sie selbst.“
„Versteh doch, teurer Freund. Ich kann nicht.“ Victors Augen füllten sich mit Tränen. Heftige Krämpfe zuckten durch seinen Körper, und das Schluchzen wollte nicht enden.
Anstatt den Grafen zu trösten, brauste der tolle Christian auf: „So kenne ich dich nicht. Nein, das ist nicht der schöne Victor, der die Mädchenherzen im Sturm eroberte, dem vor nichts bange wurde. Der die Abenteuer suchte, wie Pferde ihre Futterkrippe. Hier sitzt eine Heulsuse, vor der ich keinerlei Respekt mehr habe. Mag ich dich überhaupt noch Freund nennen? Ich weiß es nicht.“
Er rannte aus dem Salon, knallte die Tür donnernd hinter sich ins Schloss. Betreten sahen sich die Zurückgebliebenen an. Keiner sprach aus, was doch jeder dachte, dass Christian wissentlich Vabanque spielte, weil sein Leben ihm keinen Pfifferling mehr wert war.
Herzogin Elisabeth verließ mit hocherhobenem Haupt die Gesellschaft, setzte sich an ihren Schreibtisch und bat ihren Bruder, den Dänenkönig, ihrem Sohn in seinem Kampf gegen die Übermacht der Katholiken Hilfe angedeihen zu lassen. Einen weiteren Brief mit ähnlichem Inhalt verfasste sie an ihren Schwager, den englischen König. Ihn flehte sie an, seine Tochter Elisabeth nicht länger im holländischen Exil auf Gedeih und Verderb der Gunst Moritz von Oraniens zu überlassen. Diese Sätze fielen ihr besonders schwer, war ihr doch das Schicksal ihrer Nichte nicht nur gleichgültig, sondern sah sie in ihr vielmehr die Schuldige am Unglück ihres Lieblingssohnes. Aber für ihr Kind galt ihr jede Lüge als heilig.
Nachdem sie die Umschläge versiegelt hatte, ließ sie Ulrich rufen, der ihr schwören musste, dass die Briefe ihre Empfänger erreichen würden. Außerdem wies sie ihn an, der Soldateska umgehend den seit Monaten ausstehenden Sold zu bezahlen. Sie wollte, dass man Christian mit der ihm gebührenden Ehre im Heer empfinge, wenn sie ihn schon nicht zum Bleiben veranlassen konnte.
37
Christian stoppte seinen Rappen auf der Lichtung, die ins Tal führte, und sprang ab. Von hier hatte er einen vortrefflichen Ausblick über das Lager.
Zum Abendhimmel, der sich von der sinkenden Sonne rot färbte, drang weißblauer Rauch der Feuerstelle, wo ein Och se und etliche Schweine an Spießen knusprig brieten. Aus den Zelten dröhnten die Kriegslieder des Heeres, das endlich Sold erhalten und diesen in Fässer voll Bier umgesetzt hatte.
Jenseits der Senke putzten Reiterbuben die Rösser und sangen kräftig mit. Zwischen ihnen tänzelten Marketenderinnen und blutjunge Kräuterheilerinnen . Sie warfen den hübschen Burschen verliebte Blicke zu. Mittendrin Isabella, die voll Hingabe ihre Stepptänze vollführte.
„Mädchen, du weißt, wo der Herzog ist“, sagte einer. Sie hielt inne und schaute versonnen vor sich hin.
Der junge Herzog stand diesseits des Tales, betrachtete die fröhliche Schar lange, beugte sich nieder, hob die feuchte Erde aus dem Grund. Sie kühlte nicht die Glut der heißen Stirne, vertrieb nicht die Stimmen in seinem Kopf, die nach der Pfalzgräfin schrien, half nicht, sein krankes Herz gesunden zu lassen, das sich vor Sehnsucht nach der Liebsten verzehrte.
Er nahm die Zügel des Hengstes u nd schlenderte zu
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