Die Heidehexe - Historischer Roman
zeitig eingetroffenen Frühling viel zu warm waren. Manch einer strampelte sich bloß und schlummerte lieber ohne Decke, weil die dumpfe Hitze unerträglich schien. Auch lähmte nichts den Atem der Schläfer. Gleichmäßig holten sie Luft und stießen sie ebenso gleichmäßig wieder aus. Einige Schnarcher atmeten zwar durchaus nicht im richtigen Verhältnis, Anlass zur Besorgnis gab das aber nicht.
Gegen Mitternacht schreckte die Fürstin kurz auf, griff sich an die Kehle, die urplötzlich schmerzte, wie von einem tiefen Schnitt getroffen.
„Rubina!“, schrie sie, sank zurück in ihre Kissen und schlief gleich weiter. Niemandem aus ihrer Familie wäre eingefallen, was die Mannen des Grafen von Grimmshagen Elisabeths Freundin zugefügt hatten, und dass genau zum Zeitpunkt des fürstlichen Aufschreis Richard Sander den tödlichen Hieb mit seinem Schwert vollzog, der Kopf und Rumpf voneinander trennte.
Der Morgen brach an. Noch lagerte dichter Nebel im Wiesengrund des Schlossparks, waberte über Bäume, Sträucher und herzogliche Gemäuer. Doch die Märzsonne stieg bereits die Himmelsleiter herab, durchbrach mit ihren Strahlen den Dunstschleier, lichtete Wald und Flur.
„Welch herrlicher Tag“, schwärmte Elisabeth. „Passend, um meine Nichte und Namensvetterin Willkommen zu heißen.“ Zufrieden beobachtete sie, wie Diener und Mägde das Schloss mit Fahnen der Residenzen Braunschweig-Wolfenbüttel, der Pfalz und Böhmen schmückten. Und als größte und edelste Flagge wehte die dänische im Wind. Die Flagge ihres und der Mutter der Pfalzgräfin Elternhauses.
Christian kam von seinem Morgenritt zurück. Die vorm Tor des Schlossparks wartende Volksmenge jubelte.
„Schade, dass er nicht der Herrscher unseres Fürstentums ist. Tollkühn und verwegen muss ein Herzog sein. Nicht so lasch und weich wie Ulrich, sein älterer Bruder“, riefen sich die Menschen gegenseitig zu, schwenkten Mützen und Tücher.
„Heil dir, Christian!“, tönte es einstimmig, als er auf seinem Rappen Albertinus an ihnen vorbeigaloppierte. Der blutrote Umhang rauschte wie künftiges Unheil. Die Untertanen wollten es nicht hören. Zu sehr begeisterte sie der furchtlose Recke. Sie wussten nichts von den Dämonen, die seinen Kopf belagerten, ihn fast in den Wahnsinn trieben, sich nie verscheuchen ließen.
Zu Christians Erleichterung erreichte er ein paar Minuten vor Elisabeths Ankunft das Schloss, händigte Albertinus’ Zügel einem der Stallknechte aus und befahl: „Reibe ihn gut trocken. Der Rappe ist völlig durchgeschwitzt. Ich werde mich nachher selbst überzeugen, ob du deine Arbeit zu meiner Zufriedenheit ausgeführt hast.“
Mit einer flüchtigen Umarmung begrüßte er Mutter und Anverwandte und gesellte sich zu ihnen auf die Freitreppe, die zum Herrenhaus führte, um der Base den gebührenden Empfang zu bereiten. Er erinnerte sich daran, dass sie als Kinder gemeinsam im königlichen Garten des dänischen Großvaters herumgetollt hatten. Scho n damals war sie eine Sinnenfreude für jeden Betrachter gewesen.
Aus den Augen, aus dem Sinn. Bei Christians Aufenthalt in Holland, da er als Dragoner-Hauptmann in königliche Dienste getreten und dem im s‘-Gravenhager weilenden böhmischen Winterkönig Friedrich V. von der Pfalz begegnet war, hatte die Winterkönigin mit Wehen im brandenburgischen Schloss gelegen, um ihrem fünften Kind das Leben zu schenken.
Nun unterbrach sie für wenige Tage die Reise nach Holland, wo ihr Gemahl auf sie wartete, um ihrer Tante Elisabeth von Braunschweig-Wolfenbüttel den lange versprochenen Besuch abzustatten.
Dass sie mit atemberaubender Schönheit gesegnet war, ging durch aller Munde. Auch von ihrem Charme und Liebreiz wusste Christian, was ihm bisher nur ein abschätziges Lächeln entlockt hatte, machten ihm doch die adligen Jungfrauen scharenweise Avancen. Warum sollte ihn da eine fünffache Mutter, die zu jeglichem Überfluss verheiratet, aus ihrem Königreich vertrieben und drei Jahre älter als er war, interessieren? Aber als er das fleischgewordene Bild aus Milch und Blut gewahrte, war es um ihn geschehen.
Er, der jede Nacht ein anderes Mädchen in seinem Bett Willkommen hieß, errötete wie ein Bub, senkte verlegen den Kopf, als sie ihm die Rechte zum Gruß darbot. Schüchtern hauchte er einen Handkuss auf die weiße Haut, unfähig ein Wort über die Lippen zu bringen. Sein Herz ratterte wie ein Mühlrad, peitschte das Blut durch die Adern, hinauf ins Gehirn, wo es die grauen
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