Die Heidehexe - Historischer Roman
umgeben von rostigen Käfigen mit Eisengittern, in denen Löwen und Bären brüllten. Isabella zuckte zurück, aber die Frau zog sie weiter. „Keine Bange. Die können nicht ausbrechen, sind gefangen, wie du es fast gewesen wärst.“ Sie lachte ein böses Lachen und gab dem Bären, der seine Tatze durch die Stäbe streckte, mit dem Schürhaken in ihrer Rechten einen Schlag auf die Schnauze, dass er aufheulte und sich in der hintersten Ecke zu verstecken suchte.
Isabella schauderte. Wohin bin ich geraten, dachte sie und konnte nur mühsam die Tränen unterdrücken.
„Na na, mal nicht so wehleidig, feines Frolleinchen. Hier herrschen raue Sitten. Aber gewiss nicht rauer als draußen bei euch. Wie sollten wir wohl sonst die Raubtiere bändigen, hä? Glaubst du, sie sind freiwillig bei uns? Ich bin übrigens Halina, deine Tante. Rubina war meine Schwester. Und jetzt werde ich dir die Schmerzen mit einer Kräutertinktur wegzaubern und was zum Anziehen geben. Machst die Männer ja ganz närrisch mit deinem sündigen Aufzug. Komm mit.“
„Ich bin vergewaltigt worden“, verteidigte Isabella sich leise, „der Kerl hat mir die Kleider vom Leibe gerissen.“
„Na und? Das wird dir noch öfter im Leben passieren. Mich beeindruckst du damit nicht. Die Burschen sind wie wilde Tiere. Wenn die Wollust einsetzt, geht der Verstand flöten. Dann kannst du dich nur mit der Peitsche oder hiermit retten.“ Sie deutete auf den Schürhaken und versetzte einem Löwen, der sich nicht schnell genug in Sicherheit bringen konnte, aus purem Vergnügen an seiner Hilflosigkeit, einen schwungvollen Hieb auf den Kopf. Er winselte wie ein gepeinigter Hund, während Blut aus der Wunde sprudelte.
„Guck nicht so belämmert. Der ist Schlimmeres gewohnt, erholt sich bald wieder.“
Tiefe Abscheu gegen diese Frau, die sich ihre Tante nannte, erfüllte Isabella. Am liebsten wäre sie weggelaufen. Aber wohin? Sie hatte kein Zuhause mehr, war heimatlos und wurde von Graf Grimmshagens Leuten gesucht, um ebenso misshandelt zu werden wie die Tiere in diesem kleinen Zirkus. Vermutlich sogar noch schlimmer. Da hieß es, Zähne zusammenbeißen und schweigen.
Schlagartig fiel ihr Bernhard ein, den man nicht losgebunden hatte. Sie wagte aber nicht, nach seinem Verbleib zu fragen. Die Tante flößte ihr zu viel Furcht ein. So trottete sie stumm neben ihr, schaute weder nach links noch nach rechts.
Halina ließ das Mädchen in ein kleines Zelt eintreten, das sich am äußersten Rand der Wagenburg befand. Es war spärlich eingerichtet, aber sauber und ordentlich.
An den Jurtewänden standen mehrere niedrige Schränke, in denen Henkeltöpfe, Tiegel, Schüsseln und Dosen lagerten, die einen würzigen Geruch verströmten. Mit flinken Händen nahm Tante Halina eine Büchse heraus, öffnete den Deckel und strich kühlende Salbe hauchdünn auf Isabellas Wunden, die sie anschließend mit Leinenfetzen verband. Sofort setzte Linderung der Schmerzen ein und nach wenigen Minuten verschwanden sie gänzlich. Rubina hatte über die gleiche Heilkunst verfügt und Isabella überlegte krampfhaft, aus welchen Kräutern die Mutter sie zusammengerührt hatte.
Nun reichte ihr die Zigeunerin ein kunterbuntes, mit Glöckchen behängtes, zipfelrockartiges Kleid, das sie sich rasch überstreifte. Es saß wie angegossen.
„Hat früher mal Rubina gehört“, sagte die Tante und begutachtete das Mädchen.
„ Mit der Tracht siehst du aus wie eine der Unsrigen. Nur das rote Haar passt nicht zum fahrenden Volk. Darum wirst du immer eine Außenseiterin bleiben. Genau wie deine Mutter mit ihrer Purpurmähne. Du ähnelst ihr wie ein Zwilling. Seltsam. Aber nun beeil dich. Die Familie wird sicher ungeduldig warten.“
Sie schritt voran und Isabella trippelte hinter ihr her.
Auf dem Dach des Hauptzeltes, das sich in der Mitte des Rondells befand und größer und stattlicher als die übrigen war, hüpfte Pavor vor Freude von einem Bein aufs andere und krächze mit seiner Reibeisenstimme: „Willkommen daheim, Isabella!“
Daheim werde ich hier nie sein, dachte Isabella, aber nun wusste sie, wer ihr die Retter geschickt hatte und warf dem Raben eine Kusshand zu. „Danke, Pavor. Gut gemacht.“
„Gut gemacht. Gut gemacht“, wiederholte der Vogel, segelte im Sturzflug herunter und setzte sich auf ihre Schulter. Sie kraulte ihm den Kopf, während er sich fest an Isabellas Hals schmiegte.
„Das stinkende Vieh bleibt draußen“, befahl Tante Halina energisch und schlug
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