Die Heidehexe - Historischer Roman
Halina wird dir deine Lagerstatt zeigen. Träum etwas Schönes. Was man in der ersten Nacht in seinem neuen Zuhause träumt, geht in Erfüllung. Morgen wirst du die Namen deiner Basen und Vettern, Onkel und Tanten erfahren. Du kannst sie dir rasch merken. Es ist leichter, als du denkst. Schlaf gut, mein Augapfel.“ Es folgte ein weiterer Schmatzer auf Isabellas Mund. Dann war sie entlassen.
„Wieder reingefallen“, sprach sie halblaut vor sich hin, während sie hinter der Tante herschlich.
„Was soll das heißen?“ fragte Halina, die über ein ausgezeichnetes Gehör verfügte.
Isabella fiel auf die Schnelle keine Antwort ein, und so sah sie das Zigeunerweib nur aus ängstlichen Augen an.
„Nimm dich in Acht, Früchtchen. Hab dich von Anfang an durchschaut. Bist ebenso verdorben, wie deine Mutter es war. Aber ich werde nicht dulden, dass du dich auf unsere Kosten amüsierst. An mir beißt du dir die Zähne aus. Und jetzt mach, dass du mir aus dem Blickfeld kommst. Dort ist dein Zelt.“ Sie wies auf eine winzige, zerschlissene Kohte hin und verschwand, ohne sich zu verabschieden.
Isabella schob den Eingangsvorhang zur Seite - und schlug die Hände vor Freude über dem Kopf zusammen. Deshalb hatte sie das Gesicht ihrer Freundin nicht unter den Anwesenden in Großmutters Zelt ausmachen können, obwohl sie sich schier den Hals verrenkt hatte.
„Karina!“
„Isabella!“
Mit einem Aufschrei sprang Karina von ihrem Strohlager auf, herzte und küsste Isabella, dass ihr beinahe die Luft wegblieb.
„Ach, wie habe ich mich nach dir gesehnt, konnte kaum die Zeit abwarten, bis du endlich die Familie verlassen und unser Zelt aufsuchen würdest“ plapperte Karina drauflos und hüpfte wie ein Osterlamm durch den Raum.
„Unser Zelt?“, fragte Isabella überrascht.
„Bisher war es das Meine. Aber ich teile es gern mit dir. Und Großmütterchen hatte nichts dagegen, als ich ihr den Vorschlag machte. Schließlich sind unsere Mütter Schwestern. Du bist also meine Cousine, nicht nur meine allerbeste Freundin.“
„Warum hast du mir das in all den Jahren nie erzählt?“
„Rubina hatte es mir verboten. Sie wollte nicht, dass du erfährst, wo deine Wurzeln sind. Aber glücklich war sie jedes Mal, wenn unser Zirkus im Ort auftauchte und wir beide gemeinsam spielten. Sie liebte mich, so wie auch ich sie lieb hatte, meine arme Tante.“ Karina schluchzte. Isabella sah, dass sie rot geweinte Augen hatte und zog die Base dafür noch fester an sich. Eine Verbündete in der Trauer um ihre Mutter tat ihrem Herzen gut.
Karina redete schon weiter auf sie ein: „Schau dich nur gut um. Ich habe alles für deinen Empfang vorbereitet, die Wände durch Frühlingsblumen geschmückt und dein Strohlager mit einer wollenen Decke überzogen, damit dich die Halme nicht pieksen. Wie findest du dein neues Heim?“
„Wunderschön“, antwortete Isabella, und meinte das durchaus ehrlich. Noch nie war es jemandem die Mühe wert gewesen, sich um ihr Wohlergehen zu sorgen, ja, überhaupt einen Gedanken daran zu verschwenden. Aber Karina hatte das schäbige Zelt in ein Blütenmeer verwandelt. Der Base fehlten die Worte, der sie durchströmenden Liebe und Dankbarkeit Ausdruck zu verleihen.
Wie selbstverständlich setzten sie sich gemeinsam auf Karinas Bett aus Heu und Stroh, rückten dicht zusammen und rieben ihre Köpfe aneinander, wie sie es als Kinder getan hatten. Vertrautes Schweigen hüllte sie ein. Nur sitzen, die Freundin beglückt betrachten und ihre Hände streicheln, erschien beiden als höchste Seligkeit.
Isabellas Müdigkeit war wie weggeblasen. Bis zum Jüngsten Gericht hätte sie neben Karina weilen mögen und sich mit ihr vereint fühlen.
Doch plötzlich schoss ein Gedanke durch ihr Gehirn, den sie nicht für sich behalten konnte.
„Wenn du meine Cousine bist, ist Tante Halina deine Mutter, stimmt’s?“
Karina hielt sich den Bauch vor Lachen. „Tante Halina, dieser alte Drache? Der soll meine Mutter sein? Um Himmels willen, nein. Mich hat Gerlinde zur Welt gebracht. Rinaldo und Fernando, die dich befreit haben, hat Tante Corinna geboren. Rubina hatte fünfzehn Geschwister. Und die haben zum größten Teil geheiratet und viele Nachkommen gezeugt, und manche von Großmütterchens Enkeln sind bereits wieder mit Kindern gesegnet. Darum ist es eine solch große Familie. Außer Rubina hat niemand den Zirkus verlassen. Wir bleiben zusammen, auf Gedeih und Verderb.“
„Aber weshalb ist ausger echnet meine
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