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Die Heilanstalt (German Edition)

Die Heilanstalt (German Edition)

Titel: Die Heilanstalt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Geraedts
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Leute nicht geheilt, sondern mit etwas infiziert, das sie willenlos macht. Es geschieht durch den Tee, und auch du, Patrick, bist davon betroffen. Aber vielleicht ist es noch nicht zu spät, vielleicht gibt es noch ein Zurück. Lass uns von hier fliehen, lass uns einen Weg nach draußen suchen. Und sobald wir uns gerettet haben, holen wir Hilfe und kehren zurück, um die anderen zu befreien. Wir wissen beide, dass es wahr ist, also lass uns offen darüber sprechen und so schnell wie möglich handeln!
    Aber nichts davon sprach Melanie laut aus, obwohl sie die ganze Zeit über den Mund geöffnet ließ und im Ansatz die Lippen bewegte. Dennoch wusste Patrick, was in ihr vorging, so als würde er in ihre Gedanken blicken – und möglicherweise tat er es über die Verbindung ihres Augenkontaktes. Doch auch er brachte sein Unbehagen nicht zum Ausdruck, behielt nur die leidvolle Miene und brach dann sogar den so wichtigen Blickkontakt ab. Mit verzerrtem Gesicht rieb er sich die Schläfen, in denen sich ein dumpfer Schmerz ausbreitete. Ihn dürstete wieder, und schon bald würde er erneut trinken müssen.
    Melanie betrachtete den augenscheinlich leidenden Patrick, wollte unbedingt aussprechen, was in ihrem Kopf vorging, und wollte es auch wieder nicht. Warum bloß konnte nicht alles so sein, wie es sich ihr vordergründig zeigte? Melanie klammerte sich an ihre einfache Wahrheit, die Wahrheit des sinnlich Wahrnehmbaren, die für sie völlig hinlänglich war, mehr noch, die sie glücklich machte.
    Und doch wusste sie, dass die Welt so einfach nicht gestrickt war, dass hinter dem Sichtbaren stets das Verborgene lag, dass jede Fassade eine Rückansicht besaß, dass jedes Licht, sei es noch so hell und schön, immer auch Schatten hervorbrachte. Denn die Wahrheit war wie eine Medaille, deren eine Hälfte uns offen vor dem Auge stand, während die andere sich still dahinter verbarg. Melanie betrachtete nur die Vorderseite und wagte nicht, die Medaille umzudrehen; daher blieb sie schweigsam, anstatt mit Patrick jenes bedeutende und überfällige Gespräch zu führen, das sie in Gedanken bereits begonnen hatten.
    Auch Patrick war nun nicht mehr daran interessiert, seiner düsteren Ahnung nachzugehen, die er tief und kalt im Herzen spürte. Die Schmerzen hatten sich wieder wie ein Lauffeuer in ihm ausgebreitet, sodass er nur noch an Linderung dachte und alles andere vergaß. Statt den Tee weiterhin als Virus mit infizierender Wirkung zu betrachten, hielt er ihn nun für seine einzige Rettung.
    Ihr Schweigen war somit einvernehmlich; sie beide wussten von der Kehrseite der Medaille, wussten, dass dieses Sanatorium eine helle Kulisse zur Schau stellte, hinter der sich ein finsteres Leichentuch verbarg. Sie wussten, diese Anstalt war wie ein Skorpion, der auf den rechten Augenblick wartete, um seinen tödlichen Giftstachel über den Rücken zu wölben und zuzustechen.
    Und doch waren sie im Stillen einig, dem schönen Schein auch künftig zu erliegen, dessen Reiz zu hinterfragen müßig wäre. Sie wollten die erfreuliche Entwicklung keinesfalls stören, die zwischen ihnen im Gange war, und stattdessen dankbar sein für ihr glückliches Zusammentreffen an diesem paradiesischen Ort.
    Und so empfanden sie eine gewisse Erleichterung, als wenige Augenblicke später die Uhr sechs schlug und der Gong zum Abendmahl ertönte, der ihre Zweifel, Verunsicherungen und Ängste wie eine frische Brise fortwehte und dafür sorgte, dass vorerst alles weiter seinen gewohnten Gang nahm.

Abendbrot
    Die Menschen setzten sich lärmend in Bewegung und stürmten aus allen Richtungen auf den Speisesaal zu, der binnen weniger Minuten wieder so voll war, dass trotz der vielen Tische kaum noch ein unbesetzter Platz vorhanden war.
    Da Melanie und Patrick sich diesmal nicht, wie zuvor beim Mittagessen, lange vor dem Gong im Saal eingefunden hatten, fanden sie nur noch weit abseits zwei freie Stühle, von denen aus der Buffettisch geradezu klein wirkte. Aber natürlich war er auch jetzt zur Abendstunde wieder märchenhaft reich gedeckt.
    Es gab vorwiegend Brot, dies allerdings in so umfassender Auswahl, dass die Patienten kaum zu entscheiden wussten, woran sie sich bedienen sollten. Körbeweise waren die Backwaren über die gesamte Tischlänge verteilt, begonnen mit mehreren Laiben Weiß- und Schwarzbrot und gefolgt von einigen herrlich duftenden Fladenbroten, allesamt in tellergerechte Stücke vorgeschnitten. Es gab frische Brötchen – manche mit Körnern,

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