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Die Heilanstalt (German Edition)

Die Heilanstalt (German Edition)

Titel: Die Heilanstalt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Geraedts
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Karte wieder wegsteckt und auf den untersten Knopf eines Tastenfeldes drückt. Kurz darauf setzt der Lift sich in Bewegung und transportiert die Jungen surrend abwärts. Janick sieht seinen Bruder mit großen Augen an. »Woher hast du die denn?«
    Thomas lächelt. »Ich weiß seit Jahren, wo Mama die Zugangskarte versteckt.«
    Janick schluckt und fürchtet Mutters Strafe mehr denn je. Doch der Fahrstuhl hat sich in Bewegung gesetzt; die letzte Chance zum Umkehren ist verstrichen.
    Gegenüber der Tür ist ein kleines Fenster in die Wand eingelassen, an dessen Glas Janick neugierig seine Nase presst. Mit Erstaunen betrachtet er die fremden Stockwerke, die wie eine nach oben wandernde Leinwand an ihm vorüberziehen. Janick sieht dampfend arbeitende Maschinen, deren pressluftbetriebene Achsen einen dröhnenden Lärm verursachen; ein Stockwerk tiefer befinden sich breite Wasserbecken, durch die metallene Säulen rotieren; kurz darauf erscheinen weite Felder hoher Eisenmaste, an deren Spitzen blaue Blitze zucken; zuletzt blickt Janick in eine Halle mit einarmigen Robotern, die beschädigte Gerätschaften wieder verschweißen. Nachdem auch dieses Stockwerk nach oben fortgezogen ist, füllt sich das Fenster mit einer dunklen Wand und ertönt wieder die Klingel des Aufzugs; sie haben das Erdgeschoss erreicht.
    Janick wendet den Blick vom Fenster ab und starrt seinen Bruder mit herabhängender Kinnlade an. Thomas erwidert seinen erstaunten Blick mit einem breiten Grinsen.
    »Tja, diesen Teil der Siedlung kanntest du noch nicht, was? Im vorderen Sektor befindet sich die Industrie; hier werden Maschinen hergestellt und repariert, das Trinkwasser wird aufbereitet und der Strom gewonnen.«
    Janick schüttelt verwundert den Kopf und fragt sich, woher sein Bruder all das bloß weiß.
    »Kinder sind hier unerwünscht, deshalb verbietet man uns, diesen Bereich der Siedlung zu betreten«, erklärt Thomas. »Aber du musst nicht immer auf alles hören, was man dir sagt, Brüderchen« Er zwinkert Janick schmunzelnd zu. »Wer keine Grenzen überschreitet, lernt nichts dazu.«
    Janick ist sprachlos und bewundert seinen Bruder mehr denn je. Als Thomas den Aufzug verlässt, läuft Janick ihm schweigend hinterher und spürt ein magisches Band, das ihn mit seinem Bruder verknüpft; es ist ein Gefühl tiefster Verbundenheit, das Janicks Gefahrenbewusstsein schwinden lässt und seine Angst vergessen macht. Es bringt ihn am heutigen Tag dazu, Thomas wie ein Schatten zu begleiten, und es wird ihn anderthalb Jahrzehnte später dazu veranlassen, ihm in die Dunkelheit der Außenwelt zu folgen. Janick ist von dem Pflichtgefühl beseelt, seinem Bruder beizustehen, da er schon jetzt ahnt, dass Thomas zu etwas Großem bestimmt ist.
    Die Brüder laufen mit flinken Schritten voran und verstecken sich schließlich hinter einigen Kisten. Vorsichtig spähen sie über den Rand und erblicken eine weite Halle mit hoher, stahlverkleideter Decke. Überall liegen verschnürte Kartons, Fässer und Maschinenteile herum, die so alt und verschlissen aussehen, als wären sie vor Jahrzehnten hier zurückgelassen worden. Der Boden besteht aus Beton und ist beinah schwarz vor Dreck; die Luft ist so staubig und stickig, dass das Atmen schwerfällt. In einiger Entfernung ist ein deplatziert wirkender Haufen Kieselsteine aufgeschüttet.
    Am hinteren Ende der Halle befindet sich das gewaltige Außentor, das Janick bislang nur vom Hörensagen kannte und nun zum ersten Mal mit eigenen Augen erblickt. Das Tor ist etwa zehn Meter hoch, fünfzehn Meter breit und aus Metall gefertigt. Eine riesige, runde Schlossvorrichtung prangt in seiner Mitte, die so aussieht, als könnte sie der Sprengkraft einer Atombombe standhalten.
    Janick ist von dem Anblick geradezu überwältigt. »Ich hab es mir nie so groß vorgestellt!«, flüstert er. »Welche Gefahr kann dort draußen sein, die so ein Tor erfordert?«
    Thomas zuckt unwissend mit den Schultern. »Was auch immer da draußen ist, es zwingt uns seit einem halben Jahrhundert, in dieser Siedlung zu hausen … und trotzdem wird einmal im Monat einer von uns hinausgeschickt. Ich will endlich wissen, warum.«
    Thomas deutet auf ein Metallhäuschen, das mit dem Tor verbunden ist und offenbar eine Art Schaltzentrale beinhaltet; in seinem Inneren blinken breite Armaturen und flackern mehrere Monitore. Neben dem Häuschen führt eine Wendeltreppe zu einem höher gelegenen Stockwerk. Drei Personen kommen in diesem Augenblick von dort herunter; es

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