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Die Heilanstalt (German Edition)

Die Heilanstalt (German Edition)

Titel: Die Heilanstalt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Geraedts
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das ein Insekt mit einer Lupe verbrennt.
    »Woher rührt die große Macht deiner Seele?«, fragte er mit funkelnden Augen. »Welches Empfinden zog deinen Geist wieder hinab, nachdem er so musterhaft aufgestiegen ist?«
    Janick schluckte und fragte sich, ob das Wesen von seinen Gefühlen für Judith wusste, ob es davon wissen konnte . Der Herr vernahm sichtlich erfreut die Verunsicherung in Janicks Gesicht und griff in eine Außentasche seines Jacketts. Sie war plötzlich gewölbt, als hätte sich in ihr aus dem Nichts ein Gegenstand materialisiert.
    »Welche Wahrheit ist dir so viel wert, dass du für sie zu sterben bereit bist?«, fragte die Kreatur, wühlte in der Tasche und zog dann die Hand heraus, die eindeutig etwas Festes umklammerte. »Welches Licht strahlt sonnengleich in deinem Geist und bewahrt ihn vor der Dunkelheit?«
    Der Herr öffnete langsam die Hand und genoss Janicks entsetzten Gesichtsausdruck. Er erkannte die Figur auf Anhieb wieder: Sie war aus rotem Marzipan und stellte ein Liebespaar dar. Sie umarmten einander, und ihre Lippen waren zu einem ewigen Kuss verschmolzen. Es war jene Marzipanfigur, die Janick als verborgene Liebesbekundung auf Judiths Teller gelegt hatte, als sie gemeinsam zu Abend gegessen hatten. Janick kniff die Augen zusammen, presste den Kopf ins Kissen und biss sich auf die Unterlippe.
    »Herr von Wallenstein wusste von eurem romantischen Geheimnis«, sagte das Wesen mit einem boshaften Lächeln. »Nachdem sein Geist in unser Reich aufgestiegen ist, wissen auch wir davon.«
    Janick fühlte sich plötzlich leer und müde; die Welt geriet aus den Fugen und schaukelte hin und her wie ein Schiff in Seenot.
    »Herr von Wallenstein fand diese Figur in ihrem Gewand, nachdem ihr Fluchtversuch gescheitert war«, sagte die Kreatur. »Bestimmt war es dein Abschiedsgeschenk an sie, nicht wahr? Du wolltest ihr auf diese Weise deine Liebe gestehen, da du es mit Worten nicht fertigbrachtest.«
    Janick kämpfte mit den Tränen. »Ihr werdet Judith kein Haar krümmen, sonst jage ich euch zur Hölle, ihr verfluchten Bestien!«
    Der Herr zog schmunzelnd die Brauen hoch. »Judith heißt sie also. Da sind wir mit unserer Namenswahl wirklich fehlgegangen, nicht einmal die Silbenzahl hat gestimmt. Aber ›Melanie‹ erschien uns so passend für ihre zarte Erscheinung und ihr hübsches Gesicht« Der Herr sah Janick liebevoll an. »Wie ist übrigens dein wirklicher Name? Hoffentlich lagen wir in deinem Fall näher an deiner inneren und einzigen Wahrheit?«
    Janick wandte mutlos den Blick ab und schwieg. Der Herr lächelte sanft. »Du solltest uns nicht mit solcher Sturheit begegnen, sonst ist unser Wohlwollen rasch verspielt. Wenn du uns gefällig gegenübertrittst, werden wir die Frau, die deine Seele in solchen Aufruhr versetzt, unversehrt in die äußere Welt entlassen; sie erscheint uns ohnehin bedeutungslos. Solltest du dich unserem Willen jedoch widersetzen, so werden wir ihren Geist in eine Welt des ewigen Schmerzes verbannen, aus der es kein Entkommen gibt. Dies liegt ohne Weiteres in unserer Macht.«
    Janick schluchzte; die Tränen ließen sich nicht länger zurückhalten und liefen an seinen Wangen hinab.
    Der Herr grinste düster. »Du wirst zu uns kommen«, flüsterte er. »Oder sie wird bis in alle Zeit Qualen leiden, die jede menschliche Vorstellungskraft übersteigen. Schmerzen solchen Ausmaßes, dass sie sich die Höllenfeuer eurer Religionen als Erholung herbeisehnen wird.«
    Die Kreatur brach die Marzipanfigur entzwei und fuhr mit einer langen, gespaltenen Zunge über den Teil, der die Frau darstellte. Janick sah nicht hin und blickte stattdessen zur verdreckten Glühbirne auf, als würde er Trost aus ihrem Licht schöpfen.
    »Ihr werdet für eure Taten büßen und schreiend untergehen«, hauchte er, ohne den Blick vom matten Lichtschein abzuwenden. »Teuflische Ungeheuer, die sich für göttliche Boten halten, sind seit jeher tief gefallen.«
    »Die Hoffnung ist eines eurer mächtigsten Gefühle und der nie versiegende Quell des Selbstbetrugs«, sagte der Herr und schritt am Bett vorbei in den hinteren Teil des Zimmers, den Janick nicht einsehen konnte. Dort klopfte er dreimal kräftig an eine Eisentür. Dann trat der Herr wieder in Janicks Blickfeld und sah ihn mit veränderter Miene an, ganz sanft und freundlich.
    »In wenigen Augenblicken wird Herr Kowalski eintreten, der angewiesen ist, Ihre therapeutische Betreuung fortzuführen. Bitte verzeihen Sie, dass wir Ihnen zu Anfang

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