Die Heilanstalt (German Edition)
zweieinhalb Meter hohen Decke wölbten. Der Zement war feucht und stellenweise gerissen; überall blühten Schimmelpilze, hier und dort krabbelten Spinnen in sorgfältig gesponnenen Netzen. Ein Gestank von Fäulnis und Verwesung hing in der Luft.
Janick hatte keine Lust, den Kopf zu heben, um zu sehen, wie weit der Gang sich erstreckte. Ebenso wenig wollte er ein Gespräch mit Herrn Kowalski führen, seinem sogenannten neuen Therapeuten, der in Wahrheit ein weiteres Menschenopfer im Giftrausch war. Janick starrte schwermütig zu den matten Lichtern empor, die gemächlich über ihm davonzogen; eine Weile gab es nur das Quietschen des voranrollenden Bettes, das in Janicks Ohren wie das Kreischen einer Frau klang, die man auf eine Folterbank geschnallt hatte. Er umklammerte die weibliche Hälfte der Marzipanfigur, die das Wesen verschont hatte, als wollte er sie davor bewahren, wie ihr Gegenstück von scharfen Zähnen zermalmt zu werden. Immer wieder flüsterte er sehnsüchtig Judiths Namen und betrachtete in Gedanken ihr Gesicht. So wie die Kreatur es vorhergesagt hatte, würde Janick seine Seele opfern, um Judith zu retten. Auch wenn er nicht sicher sein konnte, dass die Bestien ihr Wort hielten und sie gehen ließen. Mit zitternden Fingern betastete er hin und wieder die Kanne und empfand Ekel und Übelkeit, wenn er an ihren Inhalt dachte. Janick seufzte und spürte einen Kloß im Hals. Zahllose Gedanken wirbelten in seinem Kopf; er war völlig verwirrt und fühlte sich elend.
Plötzlich ertönte ein lautes Scheppern, das ihn zusammenzucken ließ; zum ersten Mal, seit er aus dem kleinen Zimmer geschoben worden war, sah er nach vorn und verstand, dass das Bettgestell gegen eine Schwingtür geprallt war. Janick wurde nun durch eine riesige, düstere Halle gerollt, in der ein dichter Staubnebel in der Luft hing. Die spärliche Beleuchtung stammte von langen Leuchtröhren, die an der hohen Decke hingen und durch den Staub kaum zu erkennen waren. Der Boden war wie in einem Moor mit Schlick bedeckt, der die Räder des Bettes schmatzen ließ. Wie auf einer Müllhalde lagen überall verwahrloste Gegenstände herum: zerbrochene Spiegel, umgekippte Stühle, zerfledderte Bücher, eingerissene Plastikeimer und Farbtöpfe, verdreckte Pinsel und Tapezierrollen. Außerdem ein vergammeltes Schiebebett ohne Matratze, dessen Gummirädchen unweit im Schlick verstreut lagen.
Links und rechts entdeckte Janick birnenförmige Silhouetten an den Wänden; sie erstreckten sich vom Boden bis zur Decke und längs der gesamten Halle. Janick kniff die Augen zusammen und begriff im ersten Moment nicht, was er dort sah, wollte es womöglich nicht begreifen. Erst als Herr Kowalski das Bett – vielleicht mit Absicht – näher an eine Wand heranschob, nahmen die Umrisse eine deutliche Form an und bestätigten Janicks grausige Befürchtung.
»Nein …«, flüsterte er und spürte, wie ihm das Blut in den Adern gefror.
An den Wänden hingen gläserne Behältnisse in sorgfältig angeordneten Reihen. Sie waren mit einer gelartigen Flüssigkeit gefüllt, in der je ein schlaffer Menschenleib schwebte. Sie waren nicht tot. Manche hoben ein Bein, streckten einen Arm oder drehten den Kopf. Andere pressten eine Handfläche ans Glas, als würden sie um Hilfe flehen. Zu mehr als trägen Bewegungen waren sie nicht fähig; ihre Körper waren abgezehrt und entkräftet. Ein schwarzer Schlauch führte wie ein Schnorchel aus ihren Mündern, der hinter ihnen in der Wand verschwand. Die Menschen wirkten wie Schlafende, von denen ein kleiner Teil noch wachte, glichen Sterbenden, deren Bewusstsein noch nicht vollständig erloschen war; sie waren die konservierte Nahrung der Kreaturen.
Einmachgläser , dachte Janick und spürte, dass ihm wieder schlecht wurde, diesmal so schlimm, dass das aufsteigende Erbrochene sich nicht zurückhalten ließ. Er drehte den Kopf zur Seite und übergab sich in heftigen Stößen neben das Bett.
»Sieh doch, was sie uns antun!«, schrie er den Therapeuten an, während klebrige Brocken aus seinem Mund quollen. »Sieh hin, sag ich! Bist du denn blind?«
Doch Herr Kowalski blieb stumm und schob das Bett unbeirrt weiter durch die Halle.
Als nur noch scharfe Magensäure nachkam, geriet Janick in einen Hustenanfall und glaubte einen Moment lang, er werde qualvoll ersticken. Doch allmählich kam er wieder zu Atem und wischte sich den verschmierten Mund am Kissen ab. Seine Augen standen voll Tränen, und sein Gesicht fühlte sich
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