Die Heilanstalt (German Edition)
Lauf ins Erdreich hinabführte und bereits unzählige Menschenopfer in den unterirdischen Kerker befördert hatte. Janick und Judith wussten, dass auch sie erst kürzlich auf dieser Treppe gestanden hatten, auch wenn ihnen die Gefangennahme so fern und unwirklich erschien, als hätte sie in einem früheren Leben stattgefunden. Insbesondere Janick wollte kaum glauben, dass die Kreaturen ihn erst vor zwei Tagen aufgegriffen und zu Boden gedrückt hatten, um ihren betäubenden Magensaft in seinen Mund zu speicheln. Er schüttelte sich, wenn er daran zurückdachte, und wünschte, von seinen vorübergehend blockierten Erinnerungen wäre diese für immer verloren geblieben.
Mit sorgenvoller Miene gingen sie weiter und hatten schreckliche Angst, von den Wesen entdeckt zu werden. In unmittelbarer Nähe ihres Baus war es sehr wahrscheinlich, dass einige dieser Ungeheuer in der Dunkelheit umherschlichen wie Raubkatzen auf der Jagd. Sie mussten schleunigst von hier fort; je weiter sie sich vom Gefangenenlager entfernten, desto schwerer würde es den Bestien fallen, ihre Spur aufzunehmen.
Während sie im heulenden Wind voranschritten, merkten sie, dass der Pfad stetig schmaler wurde; die Felsen rückten näher zusammen und bildeten bald einen engen Korridor, der in einem verdorrten Dornbusch mündete. Janick ging voran, brach die dünnen, abgestorbenen Zweige ab und schob anschließend die dickeren mit beiden Händen auseinander. Judith schlüpfte behutsam durch die Öffnung, woraufhin Janick ihr ebenso vorsichtig folgte. Jenseits des vertrockneten Dickichts erstreckte sich eine weite, ebene Steinlandschaft mit spärlicher Vegetation. Am fernen Horizont schien eine dunkle Bergkette mit der tosenden Wolkendecke zu kollidieren. Der Boden bestand überwiegend aus Kieseln, die unter ihren Stiefeln knirschten; ein Untergrund, über den Janick froh war, da sie auf ihm keine Fußspuren hinterließen. Er formte die Hände zu einer Höhle und blies warmen Atem hinein, derweil er den Blick über das wüste Land schweifen ließ.
Draußen geht ihr in Richtung der Berge am Horizont, bis ihr auf einen kleinen Bach stoßt. Ihm folgt ihr entgegen der Strömung.
Janick horchte in die Ferne, um ein Wasserrauschen zu vernehmen. Doch das beständige Pfeifen des Windes übertönte sämtliche Geräusche. Es blieb ihnen zunächst nichts anderes übrig, als Thomas Anweisung zu befolgen und sich den fernen Bergen zu nähern. Dies gab er Judith mit einer Geste zu verstehen, woraufhin sie müde nickte. Hier auf dem freien Feld war der Wind erheblich stärker als vorhin zwischen den Felsen. Mit halb zugekniffenen Augen und tief ins Gesicht gezogenen Kapuzen kämpften sie gegen die unsichtbare Kraft an, die ihnen zeitweise als wahrer Orkan entgegenschlug. Nach einer Weile kamen sie an einigen toten Bäumen vorbei, deren nackte Kronen in der Düsternis langen Armen glichen, die sich nach den fremden Wanderern reckten. Die Stämme waren brüchig und mit tiefen Kerben übersät, als hätten sich verhungernde Wildtiere über sie hergemacht. Allerorts bewegten sich die Schattenrisse kahler Sträucher im Wind, die wohl schon vor vielen Jahren eingegangen waren, als das Licht versiegte. Weit und breit gab es nichts Lebendiges. Alles Sterbliche war nur noch in kümmerlichen Überresten vorhanden, die von einer hellen Vergangenheit zeugten. Janick und Judith durchschritten eine tote Welt, auf die jahrzehntelang kein Sonnenschein niedergegangen war und in der kein anderes Geräusch existierte als das ewige Pfeifen des Windes.
Sie wussten nicht, wie weit sie inzwischen gewandert waren, als sie einen Hügel erreichten, an dessen Fuße ihnen im Schein der Taschenlampe seltsame Formen entgegen schimmerten. Janick verwendete die Lampe nur selten, um ihre Batterie zu schonen; doch nun ließ er sie minutenlang eingeschaltet, während sie sich mit einer schlimmen Vorahnung jenen Umrissen näherten. Es waren keine Felsen und keine Sträucher, auf die Janick unverwandt das Licht richtete, sondern – wie sich schließlich herausstellte, ja herausstellen musste – die Überreste zusammengefallener Skelette, deren Knochen wie abgesägte Äste auf den Kieseln verstreut lagen.
Verendete Tiere , dachte Janick, um ein aufsteigendes Entsetzen zu unterdrücken. Kojoten, Wölfe oder Hyänen, die in der sterbenden Welt verhungert sind.
Aber noch ehe er zu der Einsicht gelangte, dass er sich selbst betrog, wusste Judith es bereits besser und wandte wimmernd den Blick ab. Nicht
Weitere Kostenlose Bücher