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Die Heilerin des Kaisers

Die Heilerin des Kaisers

Titel: Die Heilerin des Kaisers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Weigand
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Meister Konrad wies stumm mit dem Finger auf die Außenmauer des Turms, in der bereits ein Riss von einer Elle Breite klaffte. Dieser verbreiterte sich rasch und den Männern schien es, als stöhne der Stein regelrecht. Jetzt wussten sie es gewiss: Dies war das Ende.
    Es krachte und knackte und knallte, als die Westwand des Turms auseinanderbarst, nachdem sie einen Augenblick zuvor, scheinbar wie von der Hand eines Giganten, in die Höhe gehoben worden war.
    »Vielleicht ein Erdbeben«, schrie Meister Konrad. Vom Platz tief unten herauf drangen Entsetzens-und Schmerzensschreie derjenigen, die getroffen von den durch die Luft geschleuderten Steinbrocken am Boden lagen.
    »Ich liebe dich, Seldiii!«, schrie Konrad, als er von der Planke herunterfiel. Sein Sicherungsseil nützte ihm nichts, denn nun stürzte der gesamte Turm in sich zusammen, krachte auf das bereits fertiggestellte Dach des rechten Seitenschiffs und brachte den gesamten westlichen Teil des mächtigen Bauwerks zum Einsturz.
    Die im Inneren des Gotteshauses mit verschiedenen Arbeiten beschäftigten Arbeiter würden alle von den ungeheuren Gesteinsmassen begraben werden.
    ›Niemals wird der Dom des Königs fertig werden und meine Liebste sehe ich nie wieder‹, war der letzte Gedanke des Baumeisters. Dann schlug er mit dem Kopf auf einem ins Kircheninnere vorkragenden Mauervorsprung auf. Es wurde Nacht um ihn, ehe er – bereits leblos und mit zerschmettertem Schädel – weiter in die Tiefe stürzte.
     
     

KAPITEL 47
     
    U NBESCHREIBLICHES D URCHEINANDER war auf dem Platz vor der Kirche und im Inneren des Bauwerks ausgebrochen. In Panik versuchten die Menschen zu fliehen, aber es war zwecklos. Der Staub nahm einem die Sicht und erschwerte das Atmen. Die Unmenge an Steinbrocken und Splittern, die mit wahnsinniger Wucht durch die Luft geschleudert wurden, sowie die hölzernen Verstrebungen, Plattformen, Gerüste, Planken und Leitern erschlugen nahezu zweihundertfünfzig Arbeiter und Zuschauer, die sich an diesem strahlenden Morgen im Dom oder in der unmittelbaren Nähe der Baustelle aufgehalten hatten.
    Mauern, Emporen, Säulen stürzten ein sowie Gewölbe, Portale und Treppen, ja, selbst ein Teil des mit Steinplatten belegten Bodens wurde nach unten gedrückt. In der Krypta fand man bei den anschließenden Aufräumarbeiten noch dreizehn getötete Handwerker, die im rechten Seitenschiff dabei gewesen waren, aus kleinen, bunten Mosaiksteinchen Muster in den Boden zu legen. Wie durch ein Wunder war der andere, erst wenige Meter hohe linke Turm unversehrt geblieben.
    Etwa sechzig Schwerverletzte barg man im Laufe der folgenden Tage aus dem Schutt, wovon zwei Drittel nach kurzer Zeit verstarben und der Rest sich wünschte, ebenfalls tot zu sein, da ihre mannigfachen Verkrüppelungen sie für ihr Lebtag zu Bettlern machen würden.
     
    Tief betroffen eilte der König mit Kunigunde zur nahen Unglücksstelle; als sie sich vom gesamten Ausmaß der Katastrophe ein Bild gemacht hatten, griffen er und seine Gemahlin spontan in ihre Privatschatullen und spendeten reichlich. Die meisten der Arbeiter waren Väter kleiner Kinder gewesen, deren Mütter jetzt nicht wussten, wovon sie leben sollten. Darüber hinaus opferten Heinrich und die Königin einen ansehnlichen Betrag für den Wiederauf-und Weiterbau des Doms. »Diese armen Menschen sollen nicht umsonst ihr Leben verloren haben«, sagte Frau Kunigunde. »Wir werden das Werk trotz des Unglücks mit GOTTES und aller Heiligen Hilfe vollenden.«
    Nicht wenige Menschen glaubten, in dem Einsturz des Bauwerks ein böses Omen sehen zu müssen. All denen fuhr der König, ehe sie ihre Schreckensparolen im ganzen Lande verbreiten konnten, grob über den Mund.
    »GOTT sei den Seelen der armen Verunglückten gnädig. Ein schreckliches Unglück ist uns widerfahren. Baumeister Konrad war ein begnadeter Kirchenbauer, aber doch auch nur ein Mensch und als solcher fehlbar wie wir alle. Sein Irrtum bei der Statik hat vielen die Gesundheit oder gar das Leben gekostet. Er selbst fiel dieser falschen Einschätzung zum Opfer. Der HERR möge sich auch seiner erbarmen.
    Aber darin nun ein schlimmes Vorzeichen für das ganze Reich sehen zu wollen, ist mit Sicherheit ein Unding. Ich will kein Wort mehr darüber hören.«
    Worüber sich König Heinrich und seine Gemahlin aber berechtigte Sorgen machten, war der seelische Zustand von Meister Konrads Witwe.
    Wie eine Wahnsinnige hatte sich Griseldis auf den aufgetürmten Bauschutt gestürzt

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