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Die Heilerin des Kaisers

Die Heilerin des Kaisers

Titel: Die Heilerin des Kaisers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Weigand
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kauten bedächtig, während sie die Aussicht ins weite fränkische Land genossen.
    Direkt unter ihnen, im Vorhof des Doms, lagen nebeneinander und in unmittelbarer Nachbarschaft zur Bauhütte die restlichen, aus einem Stück roten Sandsteins gehauenen Säulenschäfte, welche die Säulenarkaden des Langschiffs tragen sollten.
    Konrad ließ seinen Blick über die Dächer des Städtchens Bamberg schweifen. Außerhalb der schützenden Mauern konnte er die gerodeten Weideflächen mit grasendem Vieh und die ausgedehnten Dinkel-und Rübenfelder ausmachen.
    Im Hintergrund waren Erhebungen zu erkennen, bedeckt mit Eichen-und Buchenwäldern, die, wie Konrad bekannt war, dem Grafen Albrecht von Benderstein gehörten, dessen Frau Sybilla Griseldis vor einiger Zeit behandelt hatte. Von dorther stammten die Baumstämme, die man zum Bau des Doms benötigte.
    Linkerhand, auf einer kleinen Anhöhe, waren im Dunst die Umrisse der Burganlage des Grafen zu erkennen. Bei den Holzlieferungen aus dem gräflichen Wald für den mächtigen Dachstuhl hatte man sich zum Schluss auf einen annehmbaren Preis geeinigt.
    Konrad kannte Herrn Albrecht als launischen und jähzornigen Menschen. Man konnte nie sicher sein, ob und wann es ihm einfiel, einen Streit mit den Stadtleuten und der Dombauhütte vom Zaun zu brechen. Einmal bereits hatte der König persönlich eingegriffen, um den streitbaren Edelmann zu besänftigen.
    Der junge Baumeister erhob sich von dem schmalen Sims und legte sich ein Seil um die Hüfte, das er fachgerecht verknotete und dann die Schlinge an der Mauer mittels eines eingeschlagenen Hakens befestigte: Er wollte nun von außen die Inspektion des Turms beginnen.
    Der Wind blies auf einmal kräftiger und wehte Konrad das Haar vor die Augen; er schob sich die braunen Strähnen, in die sich bereits eine Anzahl grauer Haare mischten, unter seine wollene Mütze zurück. Trotz der Schwindel erregenden Höhe besaß die Freiheit hoch droben etwas geradezu Berauschendes.
    Meister Konrad dachte erneut an sein blühendes Weib, das ihn in einem guten halben Jahr zum Vater machen würde und ihn am heutigen Abend sicher mit einem Topf seiner Leibspeise erwarten würde – saure Kutteln mit selbst gebackenem Brot, dazu ein schäumendes Bier. Auf einmal fühlte er eine brennende Sehnsucht nach Griseldis.
    Sie lebten zwar zusammen, sahen sich aber viel zu selten. Entweder kam Konrad nicht von seiner Baustelle los, weil er überall zu gleicher Zeit sein sollte und manche Arbeiten auch nachts bei Fackelschein ausgeführt werden mussten, oder Griseldis war mit dem König irgendwo im Reich unterwegs.
    ›Sie muss sich mehr schonen, dafür werde ich sorgen – jetzt wo sie unser Kind trägt‹, dachte Konrad voll Fürsorge und Zärtlichkeit. Da hörte er es.
    Ein merkwürdiges Geräusch war es; eines, das überhaupt nicht hierhergehörte. So, als würde jemand schweres Zelt-oder Segeltuch in Bahnen reißen. Kam es etwa von dem kräftig auffrischenden Wind, der plötzlich unangenehm laut um den Turm heulte und an seiner ärmellosen Weste zerrte? Ohne Zweifel, ein schwerer Sturm kam auf.
    Es klang wirklich so, als würde jemand versuchen, mit einer stumpfen Schere dicken Fahnenstoff zu durchtrennen. Im selben Augenblick aber wusste Konrad, wodurch das Geräusch verursacht wurde und ihm wurde eiskalt vor blankem Entsetzen. Hektisch schaute er sich nach den vier Arbeitern um. Er wollte sie warnen und ihnen zurufen, sich schleunigst in Sicherheit zu bringen, aber kein Laut drang aus seiner zugeschnürten Kehle.
    Da hörte er es erneut. Mit erschreckender Deutlichkeit stand ihm vor Augen, dass sie alle dem Tod geweiht waren: Keiner würde es schaffen, den Turm hinunterzugelangen und die Baustelle hinter sich zu lassen. Auch die übrigen, in den verschiedenen Abschnitten des gigantischen Baues tätigen Männer hätten kaum eine Aussicht, das schreckliche Unglück heil zu überstehen.
    Ein dumpfes Grollen, ähnlich dem eines noch weit entfernten Gewitters, war nun zu vernehmen, aber der Auslöser schien ganz nah: Aus dem Mauerwerk des Turmes drang es überdeutlich an Konrads Ohr und die vier Männer hörten es jetzt ebenfalls.
    »He! Was ist das, um Jesu Christi willen?«, schrie der Älteste schreckensbleich und ließ seinen Meißel fallen. Das reißende Geräusch hatte sich massiv verstärkt und ein leichtes Zittern lief durch das trügerisch solide wirkende Gemäuer.
    »Zum Teufel, was soll das?«, schrie ein anderer, ehe er sich vor Schreck übergab.

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