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Die Heilerin des Kaisers

Die Heilerin des Kaisers

Titel: Die Heilerin des Kaisers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Weigand
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was er tat. ›Er will offenbar, dass alle hören, was er zu sagen hat. Vielleicht sieht er das als kleine, aber notwendige Buße für seinen Schützling an? Zum Glück ist der König noch nicht anwesend.‹
    Sie erinnerte sich daran, dass Vater Berchtold ihr einst erzählt hatte, wie sehr er damals auf seinen Herrn eingeredet hatte, dass dieser die persönlichen Schätze des Verstorbenen herausgeben müsste. Nach des Paters Dafürhalten hatte der Streich mit den Reichsinsignien genügt.
    »Betrachtet die orientalischen Preziosen auf dem kostbaren Ambo. Sie stammen vermutlich aus der Morgengabe der byzantinischen Fürstentochter Theophanu, der Mutter Kaiser Ottos III.«, redete der alte Mönch ungeniert weiter.
    Die Aufmerksamkeit aller war ihm jetzt sicher, aber Vater Berchtold tat, als spräche er allein zu Griseldis. Erschrocken machte die junge Frau die Entdeckung, dass auch König Heinrich unter den Zuhörern war. Doch als sie sah, wie der Herrscher verhalten lächelte, atmete sie erleichtert auf.
    »Geht nur näher heran und betrachtet die herrlichen Verzierungen an der prächtigen Kanzel. Es sind Schachfiguren aus Achat und Chalzedon und sie sollen ein Indiz dafür sein, dass die schöne Byzantinerin einst das Schachspiel ins Abendland gebracht hat.
    Und die antiken Elfenbeinfiguren aus dem 6. Jahrhundert zeigen gar die Darstellung ägyptischer Götter.«
    Das allerdings überraschte nicht nur Griseldis. Heidnische Götter auf einem Ambo in einer christlichen Kirche? Und gar im Dom Kaiser Karls des Großen, des Heiligen? Alle Umstehenden machten jetzt lange Hälse, um das Unerhörte mit eigenen Augen wahrzunehmen.
    »Schaut nur, die gekrönte Isis trägt in der linken Hand ein Tempelchen mit Horus, ihrem Sohn. Es handelt sich keineswegs um eine Darstellung der Gottesmutter Maria mit dem Jesuskind. Das einfache Volk aber mag es ruhig glauben.«
    »Bei der unbekleideten Figur des römischen Gottes Bacchus wird sogar das Tabu der Nacktheit in christlichen Kirchen aufgehoben«, ließ sich jetzt der Abt eines nahe gelegenen Klosters vernehmen. Griseldis hörte deutlich seine offensichtliche Missbilligung heraus.
    Vater Odo fand es nun an der Zeit, sich in das Gespräch einzuschalten: Auf keinen Fall solle Zwietracht bei diesem ganz besonderen Anlass aufkommen!
    »Man kann daraus die Wertschätzung dieser kostbaren morgenländischen Kunstwerke durch unseren König ersehen. Ebenso verhält es sich mit dieser Achatschale und der verzierten Tasse samt Untertasse aus Bergkristall auf der Brüstung der Kanzel«, versuchte der junge Benediktiner von den heiklen Punkten abzulenken.
    Griseldis vermochte nur zu staunen über diesen herrlichen, im Volk bald ›Heinrichskanzel‹ genannten, vergoldeten Ambo, welcher von nun an der Verkündigung des Evangeliums dienen sollte.
    Ehe Erzbischof Heribert die Einweihung vornahm, forderte Vater Berchtold seine Zuhörer auf, ihre Augen aufmerksam dem Hauptaltar zuzuwenden.
    »Ihm ist neuerdings eine goldene Tafel vorgesetzt, eine sogenannte Pala d’oro. In der Mitte erkennt Ihr den Erlöser, zu beiden Seiten die Gottesmutter und den Erzengel Michael. Außen herum sind zehn Reliefs angebracht, welche die Leidensgeschichte unseres HERRN, JESUS CHRISTUS, zeigen. Dazwischen, von Kreisen umrahmt, sieht man die Symbole der vier Evangelisten.
    Der verstorbene Kaiser Otto III. hat diese Tafel noch gestiftet, aber unser frommer König Heinrich hat sie anfertigen lassen.«
    Den letzten Satz sprach er besonders laut und mit einem Lächeln nickte er dem Herrscher zu – wobei er so tat, als hätte er Herrn Heinrich eben erst bemerkt.
    Alle konnten sehen, dass der König ihm nichts übel genommen hatte, denn dieser warf ihm einen freundlichen Blick zu. Augenblicklich erschien nun der Erzbischof, begleitet von einer Anzahl von Priestern und Ministranten in weiß-roten Chorröcken, und die feierliche Einweihungsmesse konnte beginnen.
    ›Seltsam befreit wirkt der König. Anscheinend lastete die Schuld jenes räuberischen Übergriffs von damals doch schwerer auf seinen Schultern, als alle gedacht hatten.‹ Die Heilerin warf noch einmal einen wohlwollenden, beinahe zärtlichen Blick auf den schräg vor ihr knienden Herrscher – so wie etwa eine liebende Mutter ihren Sohn ansehen würde, der dabei war, ein längst vergangenes Unrecht wiedergutzumachen. Dann widmete sie ihre gesamte Aufmerksamkeit der Festmesse.
     
    »Vom Heiligen Vater kam heute die gnädige Einwilligung zur Bistumsgründung«,

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