Die Heilerin des Kaisers
Henker, war ein großer, massiger und breitschultriger Mann. Er hatte sich mit beiden Händen auf das lange, beidseitig geschliffene Richtschwert, das Zeichen seiner nachrichterlichen Gewalt, gestützt. Diese schwere Waffe legte er nun sorgfältig beiseite, trat auf sein Opfer zu und sagte mit lauter Stimme:
»Ich bitte Euch, verflucht mich nicht für das, was ich Euch jetzt antun werde. Ich erfülle nur meine Pflicht als Nachrichter – das Urteil selbst habe ich nicht zu verantworten. Ich vollstrecke nur, was andere so beschlossen haben.«
Nachdem Meister Balduin diese Worte gesprochen hatte, reichte er dem jungen Mann unauffällig einen Becher und forderte ihn leise auf:
»Trinkt schnell. Das Gebräu wird Eure Pein um einiges vermindern.« Daraufhin stürzte der Verurteilte ohne Widerrede den Inhalt des Bechers hinunter.
Griseldis, die Henker Balduins Worte von dessen Lippen abgelesen hatte, war angenehm überrascht. Die Bischöfe und anderen hohen Herren hingegen blickten einander befremdet an. Diese Vergünstigung war zwar hin und wieder üblich, dieses Mal aber vorher nicht angekündigt worden. Vater Berchtold, der mit der Heilerin mitten unter den Vornehmen saß, klärte sie über den Vorfall auf:
»Unsere Königin hat diesen Wunsch ausdrücklich geäußert.«
Wie unschwer an den Gesichtern abzulesen war, wurde dieser Gnadenbeweis der Herrscherin von den geistlichen wie den weltlichen Würdenträgern höchst unterschiedlich aufgenommen. Die Reaktionen reichten von gleichgültigem Einverständnis bis zu schroffer Ablehnung. Aber zu protestieren wagte niemand – ein Einwand wäre ja auch zu spät gekommen.
Auf ein unsichtbares Kommando hin hatten die Kirchenglocken mit ihrem Gedröhn wieder eingesetzt. So war von dem Delinquenten kein Laut zu hören, als der Henker ihm die Rechte mit einem Handbeil abschlug, den Armstumpf in siedendheißes Öl tauchte und ihn anschließend an der Schulter mit dem glühenden Brandeisen zeichnete.
Viele Zuschauer, die es liebten, wenn die Opfer ordentlich vor Schmerz aufbrüllten, waren enttäuscht – hatten sie sich gerade von dieser Hinrichtung Spektakuläreres erwartet.
Das anschließende Brechen der Halswirbel durch Meister Balduin ging so schnell vonstatten, dass die wenigsten überhaupt mitbekamen, dass der Henker einem bereits Toten die Gebeine zertrümmerte.
Als das Rädern und die Enthauptung vorbei waren, warfen die groben Henkersknechte Kopf und Rumpf sowie die abgehauene Hand auf den Schinderkarren und legten eine alte Decke darüber, um die Schmeißfliegen abzuhalten. Ein müder Karrengaul zog die grausige Fracht zu einer Stelle vor der Stadtmauer von Mainz, wo man sie unauffällig auf dem Schindanger verscharren würde.
KAPITEL 51
K URZ NACH DER Hinrichtung wurde in Mainz eine Synode abgehalten, auf der neben dem König auch Bischof Heinrich von Würzburg anwesend war. Die Neugründung des Bistums Bamberg kam zur Sprache und alle Versammelten erteilten ihre Zustimmung. Auch der Würzburger Bischof widersprach nicht – erhoffte er sich doch einige Vorteile für sich.
Noch einmal hatte ihm der König in Anwesenheit seiner Gemahlin und seiner Heilerin vorgegaukelt, als Entschädigung für seine erheblichen Gebietsabtretungen würde er sich dafür einsetzen, das Bistum Würzburg zum Erzbistum zu erheben.
König Heinrich schickte von Mainz aus umgehend Botschaft an den Heiligen Stuhl in Rom, dass niemand Einwände gegen seinen Plan erhoben habe.
Danach begab Herr Heinrich sich mit dem Bischof in die alte Kaiserstadt Aachen. Dort sollte die Einweihung einer ganz besonderen Kanzel stattfinden.
»Unser Herr hat diese Kanzel als Sühnegeschenk herstellen lassen«, flüsterte Vater Berchtold der Heilerin zu. Aber ganz so leise sprach der alte Mönch wohl nicht, denn alle Anwesenden im Dom und in der oktogonalen Pfalzkapelle konnten ihn hören. Der Benediktiner aber merkte es nicht und redete munter weiter.
»Im Jahre 1002 hat Herr Heinrich beim Leichenzug Kaiser Ottos III. durch unseren Überfall vor der Stadt Augsburg nicht nur die Reichskleinodien in seine Gewalt gebracht, sondern zugleich auch Teile des ottonischen Schatzes.«
Griseldis versuchte, den Benediktiner dazu zu bewegen, entweder leiser zu sprechen oder am besten überhaupt den Mund zu halten, aber Vater Berchtold stellte sich taub und tat, als verstünde er ihre Bemühungen nicht.
Griseldis beschlich daraufhin der Verdacht, dass der alte Fuchs im Mönchshabit genau wusste,
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