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Die Heilerin des Kaisers

Die Heilerin des Kaisers

Titel: Die Heilerin des Kaisers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Weigand
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alle Höfe Europas bereist hatte, zupfte die Laute – ein Instrument, das die Mauren aus dem Vorderen Orient auf die Iberische Halbinsel gebracht hatten. Dann positionierte er sich vor dem Hochsitz des Königs und begann mit Blick auf die Königin zu singen:
    Ich weiß einen Stamm im Eichenschlag,
    der steht im grünsten Laube,
    dort lacht und lockt den ganzen Tag
    eine schöne, wilde Taube.
     
    Ich weiß einen Fels, draus schillt und schallt
    nur Krächzen und Geheule,
    dort haust fahlgrau und missgestalt
    eine heis’re Schleiereule.
     
    Des Jägers Horn bringt süßen Klang,
    des Jägers Pfeil Verderben:
    die Taube grüß’ ich mit Gesang,
    die Eule, die muss sterben.
     
    Alle lachten und klatschten Beifall. Danach berichtete der Sänger von einem Mönch Ekkehard, der einst im Kloster Sankt Gallen gewesen war, wo er das berühmte »Waltharius-Lied« verfasste und später zur Buße für eine Liebelei mit einer edlen Dame auf der Burg Hohentwiel einige Zeit als Senner allein auf dem Berge Säntis verbracht hatte.
    Als er die Berge wieder verlassen durfte, hatte Ekkehard ein Lied gedichtet, das der Spielmann nun seinem Publikum zu Gehör brachte:
    »Fahr wohl, du hoher Säntis, der treu um mich gewacht, fahr wohl, du grüne Alpe, die mich gesund gemacht.
     
    Hab Dank für deine Spenden, du heil’ge Einsamkeit,
    vorbei der alte Kummer – vorbei das alte Leid.
     
    Geläutert ward das Herze, und Blumen wachsen drin:
    Zu neuem Kampf gelustig steht nach der Welt mein Sinn.
     
    Der Jüngling lag in Träumen, dann kam die dunkle Nacht; in scharfer Luft der Berge ist jetzt der Mann erwacht.«
     
    Nachdem der Beifall verebbt war, fragte der König den Lautenspieler, woher er denn komme. »Vom schönen Kostritzer See, Herr Heinrich«, antwortete dieser prompt.
    »Ach«, rief wehmütig Vater Berchtold aus, »dort auf der Insel Reichenau, in jenem Teil des Sees, der Gnadensee heißt, ist mein Heimatkloster. Kennt Ihr es zufällig?« Aus jeder Silbe war das Heimweh des alten Mannes herauszuhören.
    »Aber ja, frommer Vater«, erwiderte respektvoll der Sänger. »Und seine drei ehrwürdigen Kirchen Ober-, Mittel-und Niederzell. Ich weiß auch Lieder, verfasst von Abt Walafried Strabo, einst Klostervorsteher in karolingischer Zeit; ein gar sehr gefeierter Dichter und begnadeter Botaniker, der sich vortrefflich auf alle Heilkräuter verstanden hat.«
    »So lasst uns ein Lied von diesem frommen Manne hören, Spielmann«, bat die Königin. Der fahrende Musikant ließ sich nicht lange bitten und deklamierte einen längeren, bittersüßen Sprechgesang über eine verlorene große Liebe, wobei er leise über die Saiten seiner Laute strich.
    Da er das Gedicht im alten Dialekt der Umgebung des Kostritzer Sees vortrug, hatten manche der Zuhörer Schwierigkeiten, alles genau zu verstehen. Aber dennoch war jeder angerührt von der Innigkeit, mit welcher der Mönch vor gut zweihundert Jahren seiner Liebsten nachgetrauert hatte.
    »Wie wunderbar«, sagte Vater Berchtold und seufzte, als der letzte Akkord verklungen war. »Dieses Lied kenne ich auch. Wir jungen Mönche haben es oft heimlich gesungen, wenn unser Vater Abt nicht in Hörweite war – dieser schätzte nämlich das Liebesgedicht seines Amtsvorgängers überhaupt nicht.«
    Der König lachte und die noble Tischgesellschaft mit ihm. Die schöne Dame Irmintraut aber sprang auf, lief um die Tafel herum auf den Spielmann zu, legte ihm ihre schlanken Arme um den Hals und küsste ihn auf beide Wangen und auf den Mund.
    Das Gelächter aller Anwesenden verstärkte sich, auch König Heinrich amüsierte sich sichtlich. Nur die Königin schien ein wenig geniert über die Ungehemmtheit ihrer Verwandten. Einer Dame war es zwar durchaus erlaubt, unter gewissen Umständen einen Mann, der nicht ihr eigener, oder wenigstens ihr Vater oder Bruder war, auf den Mund zu küssen. Aber niemals tat es eine Edle, wenn der Betreffende im Rang unter ihr stand.
    »Singt, singt uns noch mehr Lieder von der Liebe, Ihr Meister des Gesanges der Göttin Venus«, rief Frau Irmintraut auffordernd, ungerührt über die leicht befremdeten Mienen der anwesenden Kirchenfürsten; man feierte schließlich die Einweihung eines Domes…
    Jedoch hatte der fremde Spielmann, ein feinfühliger Mann, nach einem Blick auf Heinrichs Gemahlin deren leises Missfallen entdeckt. Mit einer ehrerbietigen Verbeugung vor der Königin sprach der Spielmann daher mit edlem Anstand: »Ich finde keinen Vers mehr, es stockt meines

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