Die Heilerin des Kaisers
Erfahrung nach wuchsen dort oft die besten und seltensten Heilkräuter.
›Bachnelkenwurz, Bärenklau, Storchschnabel und Brennnessel – wusste ich es doch‹, freute sich die junge Frau, als sie am Wasser ankam. Aus ihrer Rocktasche zog sie ein zusammengefaltetes Stoffsäckchen, das sie für gewöhnlich mit sich trug, um Heilpflanzen zu sammeln. Sie begann mit dem Pflücken der Kräuter, fand außerdem noch Löwenzahn und Hirtentäschel.
Ganz in ihre Tätigkeit versunken spazierte sie am Bach entlang, der nach der kürzlich erfolgten Schneeschmelze ordentlich Wasser führte und angenehm rauschte. Sie entfernte sich dabei immer weiter von der Zeltstadt und dem Platz, auf dem man Tische und Bänke aufgestellt hatte, um die vielen hundert Gäste des Königspaares zu verköstigen.
Griseldis’ Gedanken weilten beim König. Vergangene Nacht hatte er nach ihr schicken lassen und sie hatte ihm erneut ihre heilenden Hände aufgelegt. Seine Schmerzen waren noch nicht sehr stark ausgeprägt gewesen. Schon nach kurzer Zeit hatte das typische Pochen in der Lendengegend aufgehört. Sie hatte den Herrscher nämlich gebeten, in Zukunft nicht mehr so lange zu warten, ehe er sich in ihre Behandlung begab.
»Je größer der Schmerz ist, desto länger dauert auch sein Verschwinden und desto mehr Unheil können die Steine in Eurem Körper anrichten, Herr. Ich bitte Euch, habt keine falsche Scham und ruft nach mir, wenn Ihr das geringste Weh verspürt. Das Ertragen von Koliken zeugt nicht von besonderer männlicher Tapferkeit, sondern bedeutet bloß die Schädigung Eurer inneren Organe.«
Herr Heinrich hatte es versprochen und gestern auch so gehalten.
›So konnte er heute mit frischer Kraft in die Verhandlung mit diesen Häuptlingen aus dem Osten gehen‹, dachte sie. ›Die wird er noch brauchen angesichts der Schelte, die er dafür ernten wird.‹
Nach einer Weile erst fiel ihr auf, dass sie ganz alleine am Ufer dieses mit mannshohem Gesträuch bewachsenen Flüsschens stand.
›Ich sollte umkehren, womöglich sucht man mich schon‹, sagte sich Griseldis und lenkte ihre Schritte zurück zum Festplatz. Um den Weg abzukürzen, lief sie direkt an einem etwas abseits stehenden, ganz besonders aufwändig geschmückten Zelt vorüber – wohl dem eines der heidnischen Oberhäuptlinge.
Über dem sorgsam mit ledernen Schlaufen verschlossenen Eingang war, im Gegensatz zu allen anderen, weit offen stehenden Zelten, ein mächtiger skelettierter Rinderschädel mit riesigen vergoldeten Hörnern angebracht. Beinahe wurde ihr ein wenig mulmig bei diesem Anblick: Es schien sich um einen wilden Auerochsen gehandelt zu haben.
Da vernahm sie einen seltsamen Laut. Unwillkürlich hielt Griseldis inne. Was war das gewesen? Sie lauschte. Da! Da war es wieder. Sie zweifelte nicht mehr daran, dass es die Schreie einer Frau waren, die hinter dem dicken Zeltstoff hervordrangen.
›Einer der exotischen Herren maßregelt wohl seine Sklavin‹, dachte sie zuerst. Aber als sie nun deutsche Wörter in dem mittlerweile lauter gewordenen Gekeife der Unbekannten ausmachte, überlegte sie, ob sie eingreifen sollte.
›Bündnispartner unseres Königs gegen Boleslaw zu sein, erlaubt diesem Heiden noch lange nicht, ein deutsches Mädchen zu züchtigen‹, sagte sich Griseldis und ging beherzt auf den Zelteingang zu, ohne genau zu wissen, was sie nun tun sollte.
Ehe sie zu einem Entschluss kam, wurde die Zeltklappe mit einem Ruck von innen aufgerissen und eine grobe Männerfaust stieß eine junge, schwarzhaarige Frau ins Freie.
Das Weib stolperte und fiel vor dem Zelt auf den Erdboden, der zum Glück trocken war, da es längere Zeit nicht mehr geregnet hatte. Aus dem Inneren erklang eine zornige männliche Stimme, ehe die Lederklappe wieder verschlossen wurde. Die Frau am Boden kreischte wütend, richtete sich aber so schnell auf, dass Griseldis gar nicht dazu kam, ihr aufzuhelfen.
»Oh, mein Gott!«, entfuhr es der Heilerin, »Ihr seid das? Wie kamt Ihr denn bloß in das Zelt dieses Barbaren? Hat er Euch entführt?«
Im selben Moment sah sie aus dem Augenwinkel zwischen den Bäumen eine magere, schwarze Gestalt mit einer riesigen Haube heraneilen und auf einmal war Griseldis alles klar.
Frau Irmintraut hatte wohl ein romantisches Stelldichein mit einem der Gäste in dessen Prunkzelt vereinbart gehabt und Doña Maddalena war darauf angesetzt, so lange draußen Wache zu stehen.
»Eure Kleider sind zerrissen und Ihr selbst seid verletzt«, stellte
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